Nach der Säkularisation verschlechtert sind das Verhältnis von Kirche und Staat, besonders in Preußen. Heute schildern Historiker das Ereignis gerne als einen Krieg des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck im gerade neu gegründeten Deutschen Reich 1871 gegen Papst Pius IX.. Aber der Konflikt hatte tiefere Ursachen.

Deutlich wird dies an der Auseinandersetzung des Kölner Erzbischofs mit Georg Hermes, einem katholischen Theologieprofessor der Universität Bonn. Unter Dozenten und Studenten entstand eine Spaltung in „Hermesianer“ und „Romtreue“. Georg Hermes dachte rational und stand der Aufklärung nahe, Frömmigkeit schätzte er weniger. Dafür geriet er mit der römisch-katholischen Lehre in Konflikt – eine Situation, wie sie sich durchaus in der Gegenwart abspielen könnte.

Schon als Bistumsverantwortlicher in Münster hatte Clemens August Droste zu Vischering den Theologiestudenten seines Bistums verboten, die Vorlesungen von Georg Hermes zu besuchen. 1820 wechselte der Theologe vom Lehrstuhl in Münster nach Bonn. Als nun Droste zu Vischering 1836 als Erzbischof nach Köln berufen wurde, führte er das zuvor von der römischen Kurie ergangene Urteil gegen Hermes ohne Zögern aus.

Die Reaktion des preußischen Staates war übergriffig und ging als „Kölner Ereignis“ in die Geschichte ein: Berlin forderte den Erzbischof auf, seine Amtsgeschäfte niederzulegen und das Erzbistum zu verlassen. Nachdem Droste sich weigerte, dem „Befehl“ zu entsprechen, wurde sein Dienstsitz von Soldaten umstellt, der Erzbischof festgenommen, auf die Festung Minden verbracht und zwei Jahre lang festgehalten.

Allerdings fand die Regierung keine Handhabe, ihn vor Gericht zu stellen; nicht einmal eine Anklage wurde erhoben. Dieser Rechtsbruch wurde zum Testfall für die Gewissensfreiheit und das Lebensrecht der katholischen Kirche im protestantisch dominierten Preußen.

War dies der entscheidende Schlag zum Niedergang gegen die durch die Säkularisation geschwächte katholische Kirche? Nein, das Kirchenvolk wollte sich nicht ergeben, sondern sich wehren. Jedenfalls erstarkte der Widerstand schrittweise. Bereits nach der Verhaftung des Erzbischofs wuchs die Beteiligung an Wallfahrten und Prozessionen. An der neu entstandenen Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier nahmen im Jahr 1844 innerhalb von 50 Tagen 500.000 Gläubige teil.

Vor allem durch die im Umfeld der Märzrevolution 1848 entstandenen neuen bürgerlichen Freiheiten wie die Vereinsfreiheit schoss das katholische Vereinswesen empor. Die von Adolph Kolping und im Namen von Karl Borromäus gegründeten Gruppen widmeten sich etwa den Herausforderungen der Sozialen Frage und förderten das Presseapostolat. In Mainz gründete sich im März 1848 ein „Verein für religiöse Freiheit“, der sich bald in „Piusverein“ umbenannte und sich damit mit dem römischen Papst solidarisierte. Er wurde von Laien getragen. Zwar wurden auch Geistliche aufgenommen, aber ohne besondere Vorrechte.

Bereits im Oktober 1848 schlossen sich die vielerorts entstehenden Gruppen in Mainz beim ersten deutschen Katholikentag zum „Katholischen Verein Deutschlands“ zusammen. Die Gründungswelle erstreckte sich über das ganze katholische Deutschland. Allein im Erzbistum Freiburg waren bereits 400 Vereine mit 100.000 Mitgliedern entstanden. Dort sorgte der „badische Schulstreit“ für zusätzliche Konflikte. Für Zündstoff hatte auch die „Mischehenfrage“ in Preußen gesorgt, bei der sich der Staat in die religiöse Kindererziehung einmischte.

Dass die Spannungen zwischen katholischer Kirche und dem Staat – besonders in Preußen – nicht beendet waren, zeigte sich im Jahr 1864 bei der Veröffentlichung des „Syllabus“ durch Papst Pius IX. Angesichts der revolutionären Umwälzungen in Europa und der Gründung souveräner Nationalstaaten unter dem starken Einfluss des Liberalismus wollte sich die katholische Kirche deutlich positionieren. Papst Pius IX. (1846) zeigte sich als entschiedener Gegner moderner, aufgeklärter Zeitströmungen. Im Zusammenhang mit der Enzyklika „Quanta Cura“ entstand der „Syllabus errorum“ (1864), worin in 80 Leitsätzen die Hauptirrtümer des Jahrhunderts aufgeführt und als mit der Lehre der Kirche unvereinbar erklärt wurden.

Das im Jahr 1870 verkündete Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes und die Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 verstärkten die Spannungen zwischen Staat und Kirche. Die größte Gefahr für die nationale Einheit des preußisch-protestantisch geprägten Kaisertums waren in Bismarcks Augen die katholische Kirche und ihre Anhänger. Schrittweise beschnitt Bismarck deshalb die Rechte der Kirche.

Den Anfang des „Kulturkampfes“ markierte der so genannte „Kanzelparagraph“: Geistliche, die in der Ausübung ihres Amtes staatliche Angelegenheiten kommentierten, konnten demnach mit einer Haftstrafe belegt werden. Im preußischen „Schulaufsichtsgesetz“ wurden ein Jahr später alle Schulen unter staatliche Kontrolle gestellt. Alle diplomatischen Beziehungen zum Vatikan wurden abgebrochen. Die katholische Kirche reagierte empört auf die neuen Gesetze: 1872 protestierte die Fuldaer Bischofskonferenz gegen die kirchenfeindlichen Maßnahmen mit einer Denkschrift, Papst Pius IX. bezeichnete sie gegenüber seinen Kardinälen als „Kirchenverfolgung“.

Ein angemessener Begriff, wie sich bald zeigen sollte: In den „Maigesetzen“ vom 11. Mai 1873 maßte sich der Staat ein Einspruchsrecht bei der Anstellung von Geistlichen an. Dagegen war die Einführung der Zivilehe als allein gültige Form der Ehe zunächst in Preußen (1874), dann im gesamten Kaiserreich (1875) eher ein kleinerer Mosaikstein. Mit dem preußischen „Brotkorbgesetz“ wurden allerdings sämtliche staatliche Geldzuwendungen an die katholische Kirche gestoppt. Das Klostergesetz verbot alle Orden in Preußen, die nicht ausschließlich mit der Krankenpflege betraut waren. Außerdem wurden das katholische Vereins- und Pressewesen stärker überwacht.

Es folgten harte Strafaktionen: Innerhalb der ersten vier Monate des Jahres 1875 wurden allein 136 katholische Zeitschriftenredakteure zu Geldstrafen verurteilt oder inhaftiert. Gleichzeitig wurden 20 katholische Zeitungen konfisziert, 74 katholische Gebäude durchsucht, 103 katholische Aktivisten ausgewiesen oder interniert. 55 katholische Organisationen und Vereine wurden geschlossen.

Über die Hälfte der katholischen Bischöfe Preußens befand sich 1878 entweder im Exil oder im Gefängnis. In einem Viertel aller preußischen Pfarreien gab es keinen Priester. Am Ende des „Kulturkampfes“ waren mehr als 1.800 Priester inhaftiert oder des Landes verwiesen. Kirchenbesitz im Wert von 16 Millionen Goldmark war beschlagnahmt.

Aber: Bismarcks Ziel, die Kirche zu schwächen, wurde nicht erreicht. Die Diskriminierungen führten vielmehr zu einem stärkeren Zusammenhalt der katholischen Bevölkerung. Das „Zentrum“, das sich als katholische Partei im Reichstag gebildet hatte, konnte bei den Reichstagswahlen 1874 sein Ergebnis auf 27,9 Prozent steigern. Es gab auch einen positiven Einfluss auf das katholische Vereinswesen.

Nach dem Tod von Papst Pius IX. wurde der staatliche Druck ab 1880 schrittweise zurückgenommen. Die Ordensgemeinschaften erholten sich. Der katholischen Bevölkerung steckte Ausgrenzung und staatliche Verfolgung allerdings noch lange in den Knochen.

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Der deutsche Staat hat sich später maßgeblich vom Kulturkampf distanziert. Das geschah bereits mit dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (WRV) im Jahr 1919. Der Erste Weltkrieg war verloren, der Kaiser hatte abgedankt, das katholische „Zentrum“ regierte mit und eine neue, demokratische und republikanische Ordnung trat in Kraft. Artikel 136 WRV hielt die Rechte der Gläubigen unmissverständlich fest.

So wird zum Beispiel das Ende von religiöser Diskriminierung betont: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Auch ist die „Zulassung zu öffentlichen Ämtern […] unabhängig von dem religiösen Bekenntnis“. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.

In zwei weiteren Bestimmungen werden die Diskriminierungen des Kulturkampfes deutlich zurückgenommen: „Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“

Die WRV verzichtete übrigens darauf, von einer „Trennung“ von Staat und Kirche zu sprechen. Eine solche Negativ-Abgrenzung war nicht nötig und hätte eher zu Fehlinterpretationen führen können. So hieß es in der Verfassung (Art. 137 WRV) schlicht: „Es besteht keine Staatskirche.“ Denn Kooperationen sollten weiterhin möglich sein. Und der Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit der Möglichkeit, Kirchensteuern einzuziehen, blieb erhalten.

Fünf Artikel der Weimarer Reichsverfassung, darunter die zitierten Klarstellungen, wurden 1949 auch in das Bonner Grundgesetz (Art. 140 GG) aufgenommen, darunter der Schutz des Sonntags als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“, das Recht, Kirchensteuern einzuziehen, sowie ein Enteignungsverbot und die Fortführung der als „Staatsleistungen“ bezeichneten Entschädigungen.

Welche Konkordate gelten heute? Und welche Nachteile gehen von ihnen für die Kirchen aus? Darum geht es in den nächsten Folgen der Reihe. Die schon erschienenen Folgen finden Sie HIER.

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