Schlüsselwörter

1 Einleitung

„As a professor, I [Henry Kissinger] tended to think of history as run by impersonal forces. But when you see it in practice, you see the difference personalities make“ (zit. In: Isaacson 1992, S. 13).

„Explaining international relations while ignoring Hitler, Bismarck, Napoleon, and other monumental figures is like trying to understand art or music without Michaelangelo or Mozart“ (Byman und Pollack 2001, S. 145).

„States are not gigantic calculating machines; they are hierarchically organized groups of emotional people“ (Hymans 2010, S. 462).

Mit ihrem Verweis auf die Bedeutung von Persönlichkeitsausprägungen individueller Akteure und Emotionen bietet die interdisziplinäre Forschungsperspektive der Politischen Psychologie eine alternative ontologische Lesart der internationalen Politik an. Kleinster gemeinsamer Nenner der äußerst heterogenen Forschungsperspektive bildet die Kritik an der Rational Choice-Theorie und ihrer Uniformitätsannahme menschlichen Handelns als ausschließlich durch Kosten-Nutzen-Kalküle geprägte Abwägungsprozesse. Dem Akteurskonzept des homo oeconomicus wird jenes des homo psychologicus gegenübergestellt, bei dem – in Abhängigkeit vom gewählten psychologischen Zugang – zuvörderst der Einfluss von Kognitionen, Eigenschaften, Motivationen oder Emotionen auf politisches Handeln untersucht wird. Zu Grunde liegt hierbei die Annahme, dass (politische) Akteure in ihren mentalen Kapazitäten der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen beschränkt sind, und sich infolgedessen (unbewusst) einer Reihe von kognitiven Heuristiken bedienen, um die komplexe, unwägbare (politische) Welt zu vereinfachen (Gross Stein 2012, S. 137). Einerseits fungieren diese Heuristiken als Orientierungsmittel für die Akteure, bilden allerdings zugleich eine Quelle signifikanter kognitiver Verzerrungen (Levy 2013, S. 308), die handlungsrelevant werden (können) und damit (potentiell) wichtige Erklärungsfaktoren für die Internationalen Beziehungen bilden.

Weist die kognitionspsychologische Lesart hinsichtlich der angenommenen eingeschränkten Rationalität von Akteuren noch eine vergleichsweise große Schnittmenge mit moderaten Rational Choice Ansätzen auf, geht eine gesamtpsychologische Lesart der internationalen Politik bei Weitem darüber hinaus. Gemäß dieser werden Akteure nicht als überwiegend sehr reflektierte Wesen mit einem hohen Bewusstseinsgrad betrachtet, denen vorwiegend kommunikatives, rhetorisches, zweck- oder wertrationales Handeln eigen ist. Vielmehr fußt das Akteurs- und Handlungskonzept des homo psychologicus auf persönlichkeitspsychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschliche Beschaffenheit. Behandelte die Politikwissenschaft individuelle Akteure (zu) lange Zeit als Black Box und Emotionen als Etwas Unliebsames, vermeintlich Irrationales, aus der Politik Fernzuhaltendes (Mercer 2005b, S. 91, 2006; Lawine 2010, S. xxix), hat im Zuge der „kognitiven“, der „emotionalen“ und der „neurowissenschaftlichen Wende“ ein Umdenkprozess hinsichtlich der menschlichen Beschaffenheit sowie des Verhältnisses von Emotionen und Kognitionen einzusetzen begonnen.

Im Nachgang zur „kognitiven Revolution“ (Gross Stein 2012; Carlsnaes 2013) haben sich im angelsächsischen Forschungsraum insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitikforschung eine Reihe von psychologischen Ansätzen etabliert, deren explanatorischer Mehrwert mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde (u. a. Redd 2005; Dyson 2006; Duelfer und Dyson 2011; Walker et al. 2011). Indes erfolgte die Nutzbarmachung dieser Ansätze, wie etwa des Operational Code Ansatzes oder der Polyheuristischen Theorie seitens der deutschen IB-Forschung bislang nur vereinzelt (Brummer 2011, 2013; Brummer und Oppermann 2013; Oppermann 2012, 2013). Das unausgeschöpfte Potenzial psychologischer Ansätze im deutschsprachigen Forschungsraum spiegelt sich auch in der bisherigen Vernachlässigung psychologischer First Image-Ansätze in der deutschen Außenpolitikforschung wider, deren stärkere Berücksichtigung Gunther Hellmann (2006, S. 112–113) schon vor geraumer Zeit forderte.

Bei der „emotionalen Wende“ (u. a. Crawford 2000, 2009; Mercer 2006; Bleiker und Hutchison 2008; Wolf 2012) und der „neurowissenschaftlichen Revolution“ (u. a. McDermott 2004b; Damasio 2006; Hatemi und McDermott 2012; Marcus 2013, S. 99–127) handelt es sich um vergleichsweise junge Entwicklungen mit weitreichenden Implikationen für die politikwissenschaftliche Forschung, weil sie deren etablierte Akteurs- und Handlungskonzepte wie auch Entscheidungsmodelle grundlegend in Frage stellen. Emotionale Reaktionen gehen (häufig unbemerkt) den bewussten Wahrnehmungen, Bewertungen und Entscheidungen voraus (McDermott 2004a, S. 162; Damasio 2006, S. 159; Gross Stein 2012, S. 139), womit die Betrachtung von (politischen) Entscheidungen als Resultate ausschließlich bewusster Prozesse kritisch zu hinterfragen ist. Neben dem kognitiven, regelgeleiteten, verstandesbestimmten Entscheidungssystem, das bewusst, langsam und reflektiert ist, verweist die duale Prozesstheorie auf die weitreichende Wirkungsmacht des Emotionen basierten, intuitiven, assoziativen Entscheidungssystem, das unbewusst, schnell und veränderungsresistent ist (Kahneman 2011, S. 31–44). Letzteres trifft die Mehrheit der Entscheidungen und triumphiert im Konfliktfalle über das vernunftgeprägte System. Das (vermeintlich) bewusste Denken agiert häufig lediglich als eine Art „Pressesprecher“, der nach außen hin rechtfertigt, was zuvor anderswo entschieden wurde (Wolf 2012, S. 606, 608).

Die Entwicklung „ontologisch plausibler Theorien“ (Wolf 2012, S. 619), die ratio und emotio als Erklärungsfaktoren für politische Phänomene integrieren und auf diese Weise die in der Politikwissenschaft verbreitete, fälschliche Dichotomie von Kognitionen und Emotionen überwinden helfen, stellt ein ebenso erstrebenswertes wie langwieriges Unterfangen dar. Bewerkstelligen lässt sich indes eine State of the Art-Synopse der insgesamt sehr heterogenen politisch-psychologischen Forschungsperspektive.

Zielsetzung des vorliegenden Beitrags ist es, den Facettenreichtum der Politischen Psychologie in den Internationalen Beziehungen anhand ausgewählter Konzepte, Ansätze und Modelle abzubilden. Hierbei werden sowohl der persönlichkeits-, kognitions-, sozial-, emotions- und evolutionspsychologische wie auch psychoanalytische Forschungszweig zumindest exemplarisch abgebildet.

2 Forschungszweige der Politischen Psychologie in den Internationalen Beziehungen im Überblick

Innerhalb der Politischen Psychologie in den IB lassen sich fünf Forschungszweige differenzieren. Zum einen der psychoanalytische Forschungszweig (Laswell 1948, 1960; George und George 1964; Erikson 1969), der die älteste Tradition der Persönlichkeitspsychologie wie auch der Politischen Psychologie bildet (Cottam et al. 2010, S. 15; Post 2013, S. 461). Hier ist der Fokus auf unbewusste Bedürfnisse, Ambivalenzen und Konflikte innerhalb von Individuen oder Gruppen sowie deren Auswirkungen auf politische Prozesse, (Re)Inszenierungen, Handlungen etc. gerichtet (Mentzos 2002; Volkan 2003; Krell 2004; Wirth 2011).

Einen zweiten Forschungszweig der Politischen Psychologie bilden kognitionspsychologische Ansätze, die systematische „Fehler“ und „Abweichungen“ von einer Nützlichkeit maximierenden Rationalität betrachten und hierbei – wie auch moderate rationalistische Ansätze – von einer „eingeschränkten“ Rationalität ausgehen. Bis Ende der 1990er-Jahre dominierte der kognitionspsychologische Forschungszweig in der psychologischen IB-Forschung, da die Einschätzung, kognitive Modelle seien leichter zu überprüfen als emotionsbasierte, weit verbreitet war (Levy 2013, S. 309). Neuere Erkenntnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften, die auf die große Bedeutung von Emotionen bei (politischen) Entscheidungen verweisen (Cohen 2005, S. 3; Marcus 2013, S. 99–127), werden in kognitionspsychologischen Ansätzen allerdings nicht berücksichtigt.

Eine stärkere Hinwendung zu emotionalen Erklärungsfaktoren – und damit auch die Etablierung eines dritten Forschungszweigs – verzeichnet die psychologische IB-Forschung seit Ende der 1990er-Jahre (Saurette 2006; Löwenheim und Heimann 2008; Fattah und Fierke 2009; McDermott 2009). Studien dieses Forschungszweigs zufolge können sowohl Emotionen wie Angst, Ärger, Rache oder Demütigung Kriegsmotive sein als auch individuelle und kollektive Bedürfnisse nach identitärer Sicherheit (Fisher et al. 2013, S. 490), nach Rehabilitation oder Kompensation (Lebow 2010). Mit solchen Aspekten beschäftigt sich auch die sozialpsychologische IB-Forschung, die ihr Augenmerk auf gruppenpsychologische Erklärungsfaktoren wie beispielsweise dichotome identitäre Wir-Bildungen (Cottam et al. 2010, S. 200–201) oder soziale Vergleichsprozesse (Tajfel 1970; Tajfel und Turner 1986) richtet sowie das damit verbundene Konfliktpotential.

Auf evolutionsbiologische Prägungen von Menschen – und somit auch von politischen Akteuren oder Konfliktaktteuren – verweist die evolutionspsychologische Perspektive (Hammond und Axelrod 2006; Waller 2007; Hatemi und McDermott 2012). Aus evolutionspsychologischer wie auch emotions- und sozialpsychologischer Sicht ist der zentrale Mechanismus im menschlichen Zusammenleben die Bevorzugung der in-group bei gleichzeitiger Prädisposition zur Behauptung gegenüber der out-group (Tajfel und Turner 1986; Mercer 2006, S. 297–298; Cottam et al. 2010, S. 202).

In Anbetracht der vielfältigen psychologischen Forschungszweige, die sich jeweils auf bestimmte Persönlichkeitsausprägungen und deren Einfluss auf politisches Handeln konzentrieren, bedarf das zu konzipierende Akteurskonzept des homo psychologicus eines mehrdimensionalen Persönlichkeitskonzepts.

3 Das Akteurskonzept des homo psychologicus: Kognitionen, Eigenschaften, Motivationen, Emotionen

Obwohl Thomas Risse-Kappen (1995, S. 174) vor nunmehr einer Dekade darauf verwies, dass „im post-positivistischen Lager (…) Platz sowohl für den homo oeconomicus als auch den homo sociologicus und den homo psychologicus“ [Hervorheb. im Original]“ ist, stehen sozialwissenschaftliche Bemühungen zur Konzeptionalisierung des Letzteren noch aus. Die Frage, wie das Akteurskonzept des homo psychologicus beschaffen ist, vermag zwar auch die Politische Psychologie nicht eindeutig zu beantworten, liefert allerdings einige bedenkenswerte Ansatzpunkte.

Kernanliegen der Politischen Psychologie ist es, psychologische Erkenntnisse von der menschlichen Beschaffenheit für die Analyse von Politik nutzbar zu machen (Huddy et al. 2013, S. 1). Jenseits der Fokussierung auf den Nexus zwischen Persönlichkeitsausprägungen und politischem Handeln sowie der Betrachtung von (politischer) Persönlichkeit als zentralem Erklärungsfaktor für politische Phänomene, besteht keine allgemein akzeptierte Definition von ‚Persönlichkeit‘ oder Persönlichkeitstheorie.Footnote 1 Unterschiedliche Persönlichkeitskonzepte vergleichend, stechen insbesondere vier Unterschiede ins Auge: Erstens die Priorisierung einer Dimension von Persönlichkeit, bei der entweder Kognitionen oder Eigenschaften oder Motivationen für zentral erachtet werden. Ein zweiter Zankapfel betrifft die Stabilität bzw. die Dynamik, die bei der Verfasstheit von Persönlichkeit angenommen wird. Drittens divergieren Persönlichkeitskonzepte hinsichtlich des angenommenen Maßes an genetischer, biologischer und physiologischer Bestimmung einerseits sowie sozialisationsbedingten Prägungen andererseits. Im Bereich der Motivationen betrifft ein vierter Unterschied schließlich die Anerkennung des Vorbewussten und des Unbewussten innerhalb der menschlichen Psyche bzw. die Abgrenzung gegenüber dieser Vorstellung und damit einhergehend die ausschließliche Fokussierung auf das Bewusste.

Eine differenzierte Konzeption von (politischer) Persönlichkeit hat David Winter (2003) vorgelegt. Er betrachtet die Persönlichkeit von Menschen als eine Art

„personal computer with some relatively fixed ‚hardware‘ characteristics and also many ‚software‘ applications, each of which can be ‚opended‘ or ‚closed‘ by the operator – some running in a ‚window‘ at the center of the screen others available in the immediate background ‚windows‘, and few running almost undetected in ‚deeper‘ background“ [eigene Hervorheb.] (Winter 2003, S.112).

Im Anschluss an Winter (2003, S. 112) umfasst (politische) Persönlichkeit vier Dimensionen: Kognitionen verstanden als mentale Repräsentationen wie Überzeugungen, Einstellungen und Heuristiken; Eigenschaften als zeitlich und situationsübergreifend relativ stabile Charakteristika; Motivationen im Sinne von Beweg- und Vermeidungsgründen für (politische) Handlungen auf bewusster oder unbewusster Ebene sowie den sozialen Kontext.

Gleichwohl das Persönlichkeitsverständnis von Winter eine gute Ausgangslage bildet für die Konzeptionalisierung des homo psychologicus als sozialwissenschaftlichem Akteurskonzept, bedarf es in zweierlei Hinsicht einer Modifikation. Zum einen ist es aus methodologischen Erwägungen problematisch, den sozialen Kontext in die Definition von politischer Persönlichkeit zu inkorporieren. Konsequenz solch einer Verfahrensweise ist, dass die jeweils spezifischen Kontextbedingungen eines persönlichkeitsbedingten politischen Handelns analytisch nicht mehr erfasst und im Falle kausalanalytischer Forschungsdesigns unabhängige, abhängige, intervenierende und konditionierende Variablen nicht mehr unterschieden werden können. Darüber hinaus muss das Persönlichkeitsverständnis von Winter um den Aspekt der ‚Emotionen‘ ergänzt werden, da Menschen sich in ihren genetischen, physiologischen Dispositionen für bestimmte Emotionen ebenso unterscheiden können wie in den sozialisationsbedingten Prägungen, die in bestimmten Interaktionen bestimmte emotionale Reaktionen aktivieren bzw. begünstigen. Im Anschluss an Rose McDermott (2004a, S. 692) werden Emotionen definiert als „a large set of differentiated, biologically-based complexes that are constituted, at the very least, by mutually transformative interactions among biological systems (e.g., cognition, physiology, psychology) and physical and sociocultural ones“. Eingedenk dieser Überlegungen wird der homo psychologicus verstanden als

„Persönlichkeit mit einem individuell einzigartigen Konglomerat von psychophysischen Kognitionen, Eigenschaften, Motivationen und Emotionen, das Gefühls-, Denk- und Verhaltensweisen hervorbringt, die sowohl konsistent als auch inkonsistent, bewusst als auch vor- oder unbewusst, beobachtbar als auch indirekt erschließbar sein können“.

In Abhängigkeit vom gewählten psychologischen Forschungszweig fokussieren sich die im Folgenden vorgestellten psychologischen Ansätze auf eine oder mehrere Dimensionen von Persönlichkeit bei der Erklärung politischen Handelns, politischer Prozesse oder Entscheidungen. Als exponiertester Ansatz der psychologischen Sicherheits- und Konfliktforschung widmet sich die Prospect Theory dem Verlauf und Ergebnis politischer Entscheidungen unter den Bedingungen des Risikos.

4 Prospect Theory – eine Antwort auf neorealistische Rätsel?

Die Prospect Theory (Kahneman und Tversky 1979; 2000; Kahneman 2011, S. 342–368), zu Deutsch auch „Neue Erwartungstheorie“, wurde ursprünglich in der Verhaltensökonomik entwickelt und findet seit den 1990er-Jahren Anwendung in der psychologischen IB-Forschung (McDermott 1998; Davis 2000; Taliaferro 2004; Brummer 2012). Ausgangspunkt bildete Kahneman und Tversky (1979, S. 263) zufolge die Kritik an zentralen Annahmen von Rational Choice-Theorien, insbesondere der Expected Utility Theory, zu Deutsch „Erwartungsnutzentheorie“, als dominanter Theorie zur Erklärung von Entscheidungen unter Risiko. In kritischer Abgrenzung zur situationsübergreifenden Annahme der Nettogewinn-Option als übergeordnetem Ziel von Akteuren bei risikobehafteten Entscheidungen (Levy 1997, S. 88), misst die Prospect Theory dem situativen Entscheidungskontext bei den Risikoabwägungsprozessen von Akteuren eine besondere Bedeutung bei (McDermott, 2004c, S. 293). Im Mittelpunkt der Theorie stehen die Erwartungen (prospects), die Akteure an die verschiedenen Handlungsoptionen knüpfen. Somit werden Entscheidungen unter Risiko als Wahl zwischen unterschiedlichen Erwartungen konzipiert (Kahneman und Tversky 1979, S. 263).

4.1 Kernaussagen der Prospect Theory

Entsprechend der ersten Kernaussage der Prospect Theory bewerten Entscheidungsträger Handlungsalternativen als Gewinne oder Verluste gegenüber einem Referenzpunkt (Levy 2013, S. 314). Sind die erwarteten Ergebnisse besser als der Referenzpunkt, gelten diese als Gewinne; sind sie schlechter, als Verluste. In aller Regel wählen Entscheidungsträger den Status quo als Referenzpunkt, dessen Festlegung zu den entscheidenden Faktoren der Entscheidungsanalyse gehört (Kahneman und Tversky 1979, S. 288). Weil sie die Kosten der Abweichungen vom Status quo als Verluste betrachten und übergewichten im Verhältnis zu den mit der Abweichung verbundenen Gewinne, haben Entscheidungsträger „a greater-than-expected tendency to remain at the status quo“ (Levy 2013, S. 315), so die zweite Kernaussage der Prospect Theory („status quo bias“). Allerdings gilt unabhängig von der Art des Referenzpunktes: Ändert sich dieser, so können sich die Präferenzordnungen der Akteure ändern, was Folgen für ihre Entscheidungsfindung haben kann (Brummer und Oppermann 2013, S. 141). Eine vierte Kernaussage der Prospect Theory verweist auf die Verlustaversion von Menschen, die Verluste schwerwiegender einschätzen als vergleichbare Gewinne (Kahneman und Tversky 1979, S. 279). Aus der Verlustaversion leitet die Prospect Theory drei weitere Kernaussagen für den Prozess der Entscheidungsfindung ab. Zum einen wirkt sich die Verlustaversion des Akteurs auf seine Risikobereitschaft aus, d. h. er trifft risikoaverse Entscheidungen, wenn er Gewinne erwartet, wohingegen seine Risikobereitschaft drastisch steigt, wenn es um das Abwenden von Verlusten geht (McDermott 2004c, S. 294). Darüber hinaus ergibt sich aus der Verlustaversion der so genannte „endowment effect“, nach dem vorhandener Besitz subjektiv im Wert steigt, und somit überbewertet wird im Vergleich zu jenen Objekten, die nicht besessen werden (Levy 2013, S. 314). Schließlich, so die siebte Kernaussage der Prospect Theory, bewirkt die Verlustaversion, dass sich Entscheidungsträger schneller an Gewinne gewöhnen als an Verluste (accomodation effect) (Brummer und Oppermann 2013, S. 141).

4.2 Entscheidungsfindung im Zwei-Phasen-Modell der Prospect Theory

Im Hinblick auf die Nutzbarmachung der Prospect Theory für internationale Sicherheits- oder Konfliktanalysen ist die Differenzierung zwischen zwei Phasen des Entscheidungsprozesses zentral. Die erste Phase wird als Bearbeitungsphase (editing phase) oder auch Framing-Phase bezeichnet, die zweite Phase als Evaluierungsphase (evaluation phase). In der ersten Phase werden mögliche Optionen identifiziert und untersucht. Die Entscheidungsträger bestimmen bzw. „framen“ die möglichen Ergebnisse sowie den Wert und die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Optionen, um die bearbeiteten Optionen in der daran anschließenden Evaluierungsphase zu bewerten und jene mit dem höchsten Wert auszuwählen (Brummer und Oppermann 2013, S. 144–145). Dem Zusammenwirken von situativem Entscheidungskontext und Entscheidungsträger misst die Prospect Theory als „the most influential behavioral theory of choice in the social sciences“ (Mercer 2005a, S. 3) eine besondere Bedeutung bei. Bei der akteursspezifischen Situationsauffassung sind insbesondere zwei Aspekte zentral: Framing im Sinne der subjektiven Wahrnehmung und Darstellung der Realität sowie die Selbstverortung des Entscheidungsträgers in der Gewinn- bzw. Verlustdomäne, da diese Festlegung gravierende Auswirkungen auf seine Risikobereitschaft hat:

„[T]he idea is that leaders in a good situation, or a domain of gains, where things are going well and are expected to continue to do well or improve, are more likely to be cautious in their choices. On the other hand, leaders in a bad situation, where things are bad or likely to get worse, are more likely to make risky choices to recover their losses“ (McDermott 2004c, S. 294).

Das Framing von risikobehafteten Entscheidungen beeinflusst die Akteure in mehrfacher Hinsicht, d. h. bezogen auf den Entscheidungskontext, die zur Disposition stehenden Handlungsoptionen und die daran geknüpften Ergebnisse sowie die Eintrittswahrscheinlichkeiten für diese Ergebnisse (Boettcher, zit. n. Brummer und Oppermann 2013, S. 141). Indes betrachtet die Prospect Theory weder das Framing des Entscheidungsträgers noch dessen (selbstfestgelegte) Ausgangsdomäne als statisch, sondern vielmehr als veränderbar, was sowohl die Möglichkeit des Reframing impliziert als auch Veränderungen hinsichtlich der Domäne, z. B. vom Gewinn- in den Verlustbereich oder vice versa (Brummer und Oppermann 2013, S. 142). Potentielle Auslöser solcher Veränderungen können sowohl internationalen als auch innerstaatlichen Ursprungs sein.

Während des gesamten Entscheidungsfindungsprozesses können verschiedene Heuristiken zum Tagen kommen, „[which] help describe how decision makers actually process information, using convenient short cuts or rules of thumb“ (Gross Stein 2012, S. 137). Drei bereits gut erforschte Heuristiken sind die Verfügbarkeitsheuristik, die Repräsentativitätsheuristik und die Ankerheuristik. Gemäß der Verfügbarkeitsheuristik tendieren Menschen – und somit auch politische Entscheidungsträger – dazu, neue Informationen entsprechend ihres am leichtesten verfügbaren kognitiven Repertoires zu interpretieren. Entsprechend der Repräsentativitätsheuristik sind Menschen geneigt, Ähnlichkeiten zwischen dem aktuellen Ereignis und früheren Ereignissen zu überbewerten. Die Ankerheuristik verweist auf die Konsequenzen, die mit der Wahl eines Referenzpunktes, insbesondere seiner subjektiven Wertzuschreibung für den weiteren (Risiko)Abwägungsprozess verbunden sind. Alle drei Heuristiken können einen großen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeitsschätzungen von Entscheidungsträgern haben (Gross Stein 2012, S. 137), die Philip Tetlock (2005, S. 40) zufolge schlechte Schätzer sind, „because [they] are, deep down, deterministic thinkers with an aversion to probabilistic strategies that accept the inevitability of error“.

4.3 Explanatorischer Mehrwert der Prospect Theory

Die Prospect Theory kann sowohl auf theoretisch-konzeptioneller als auch empirischer Ebene einen explanatorischen Mehrwert bei der Analyse internationaler Sicherheitspolitik für sich beanspruchen. So lässt sich mit Hilfe einiger ihrer Kernaussagen eine theoretisch-konzeptionelle Lücke im (neo)realistischen Forschungsparadigma schließen. Eine (neo)realistische Gretchenfrage lautet, ob Staaten defensiv realistisch sind, d. h. gegebenenfalls zufrieden mit dem Status quo, wenn sie sich als ausreichend mächtig vis-à-vis anderen Staaten erachten (Waltz 1979), oder ob Staaten offensiv realistisch sind, d. h. kein Machtvorteil groß genug sein kann, um ihren hegemonialen Bestrebungen zu genügen (Mearsheimer 2001). Im Hinblick auf die Frage, ob die Betrachtung von Staaten als Sicherheitsmaximierer oder als Machtmaximierer zutreffender ist, liefert die Prospect Theory eine differenzierte Antwort. Verorten sich Staaten in der Gewinndomäne, so ist ein risikoaverses Verhalten im Sinne des Waltzschen defensiven Realismus zu erwarten; sehen sich Staaten dahingegen mit der Abwehr von Verlusten konfrontiert, vermag die offensiv-realistische Lesart im Sinne eines risikofreudigen Verhaltens von Mearsheimer Gültigkeit für sich zu beanspruchen (Goldgeier, James und Philip Tetlock 2010, S. 465).

Für die internationale Sicherheits- und Konfliktforschung nutzbar gemacht, lässt sich unter Rückgriff auf die Prospect Theory, insbesondere ihrer Kernannahme der Verlustaversion und dem damit einhergehenden endowment effect erklären, warum Konfliktlösungsversuche oder Friedensverhandlungen (nicht) scheitern. Bei letzteren kommt die Verlustaversion in Form der Konzessionsaversion von Staaten bzw. politischen zum Tragen: „Reaching a negotiated settlement is more difficult than expected-utility theory predicts because people overweight what they concede in bargaining relative to what they get in return“ (Levy 2013, S. 316). Die zweite psychologische Erkenntnis verweist auf das größere Zeitbedürfnis, das Menschen beim Verwinden von Verlusten haben, im Vergleich zur schneller verblassten Freude über Gewinne (Gross Stein 2012, S. 134). Dieses divergierende Zeitempfinden erklärt die immense Bedeutung, die bereits versenkte Kosten für die Verwicklung von Staaten in (aussichtslosen) Konflikten bzw. ihrem langen Festhalten an Fehlpolitiken haben (Krell 2004, S. 82). Mit Hilfe dieser beiden Erkenntnisse lässt sich der – aus Rational Choice-Perspektive unverständliche – lange Verbleib in Kriegseinsätzen, wie beispielsweise die USA in Vietnam oder die Sowjetunion in Afghanistan – erklären (Taliaferro 2004).

Es ist zweifelsohne ein Verdienst der Prospect Theory, jene Bedingungen zu spezifizieren, unter denen die Risikobereitschaft von Entscheidungsträgern und damit die Wahrscheinlichkeit von Konflikteskalationen steigt. Zugleich wird allerdings ignoriert, dass die Risikobereitschaft in Abhängigkeit von genetischen Prädispositionen, Geschlecht, kulturellen Prägungen, bestimmten Weltbildern etc. variiert (Levy 2013, S. 321). Denn obschon die Prospect Theory ihr Augenmerk auf individuelle Entscheidungsträger richtet, ist sie „not a personality theory“ (McDermott 2004c, S. 293). Indes lassen sich die theoretisch-konzeptionellen Schwächen der Prospect Theory durch persönlichkeitszentrierte Ansätze in einem komplementären Forschungsdesign überwinden. Vielversprechend ist die Ergänzung um das Big Five-Persönlichkeitsmodell (Gallagher und Allen 2014), den Operational Code-Ansatz (George 1979; Walker und Schafer 2006a) oder den Leadership Trait Assessment-Ansatz (Hermann 2003a; Dyson 2006), weil diese die Öffnung der Black Box ‚Individuum‘ und somit den Zugriff auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale ermöglichen (s. hierzu Abschn. 7).

5 Psychologie des Sicherheitsdilemmas und der Abschreckungspolitik: Heuristiken, kognitive Verzerrungen, Verteidigungskognitionen und emotionale Überzeugungen als Erklärungsfaktoren

In kritischer Abgrenzung zur (neo)realistischen Betrachtungsweise eines vermeintlich objektiv geprägten Sicherheitsdilemmas in der internationalen Politik (Herz 1951; Waltz 1979, 2001), derzufolge die militärischen Intentionen gegnerischer Staaten von der Verteilung der militärischen Fähigkeiten abgeleitet werden können, verweist die psychologische Betrachtungsweise auf die Notwendigkeit eines akteurstheoretischen Zugangs (Jervis 1976, 2002; Krell 2004; Mercer 2010; Davis 2013). Letzterer ist unabdingbar, um die akteursspezifische Perspektive, insbesondere die subjektiv geprägten (variierenden) Perzeptionen, Bedeutungszuschreibungen etc. erfassen zu können – und somit auch die mit dem Sicherheitsdilemma verbundenen wechselseitigen Dynamiken. Denn jedwede Waffe, so Robert Jervis (1976, S. 58–63), ist agnostisch und kann sowohl offensiv als auch defensiv eingesetzt werden, in Abhängigkeit von der gewählten militärischen Strategie des Akteurs. Entscheidend ist hierbei der akteursspezifische Perzeptionsprozess, der von Gefühlszuständen, Mustern der Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie Bedeutungszuschreibungen etc. geprägt ist (Gross Stein 2013, S. 365).

Zum Verständnis der subjektiven Beschaffenheit und intersubjektiv vermittelten Dimension des Sicherheitsdilemmas sind neben den bereits erläuterten Heuristiken der Verfügbarkeit, der Repräsentativität und der Verankerung einige weitere psychologische Konzepte zentral, von denen die kognitive Verzerrung der Simplifizierung eine darstellt. Simplifizierungen sind potentielle Verstärker von Sicherheitsdilemmata, inner- und zwischenstaatlichen Konflikten, weil sie in Form von simplifizierten Überzeugungen von den Eigenschaften des Gegners bzw. der out-group einer Stereotypenbildung der Anderen Vorschub leisten (Fisher et al. 2013, S. 495). Eine weitere weit verbreitete menschliche Neigung liegt in dem fundamentalen Zuschreibungsfehler begründet, bei dem das Verhalten des politischen Gegenübers auf seine Dispositionen zurückgeführt wird, wohingegen kontextuelle Faktoren vernachlässigt werden (Gross Stein 2013, S. 376). Infolgedessen werden Dispositionen überschätzt und situationsbedingte Erklärungsfaktoren von Sicherheitspolitik unterschätzt, weshalb dieser psychologische Mechanismus auch als Dispositions-Struktur-Bias bezeichnet wird.

Die Wirkung des psychologischen Mechanismus der doppelten Standards lässt sich am Beispiel der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen gut illustrieren. Während Präsident Nixon die Interkontinentalraketen, die die USA bereits 1975 besaßen, als stabilisierende, defensive Waffe bezeichnete, bewerte er etwaige Beschaffungsbemühungen der Sowjetunion als destabilisierend, mithin als einen Beweis für Erstschlagsbemühungen (Krell 2004, S. 82). In einem möglichen sowjetischen Waffenstand, den er für Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er-Jahre annahm, sah er also eine Bedrohung der USA. Dahingegen deutete Nixon den faktisch bereits bestehenden Vorsprung der USA als ungefährlich für die Sicherheit der anderen Seite. Dieses auf dem Mechanismus des doppelten Standards beruhende Phänomen bezeichnete Robert Jervis als „The Belief That the Other Understands That You are Not a Threat“ (Jervis 1976, S. 354–355).

Das Bedürfnis nach Konsistenz von bestehenden Überzeugungen und neuen Informationen bewirkt im Falle von kognitiven Dissonanzen häufig eine Aktivierung von Verteidigungskognitionen. Hierbei handelt es sich quasi um Überzeugungssystemverteidigungen, „[which] are activated, when forecasters most need them“ (Tetlock 2005, S. 137), also in jenen Situationen, in denen ein besonders dringlicher Bedarf besteht, (frühere) Einschätzungen zu revidieren, die Entscheidungsträger allerdings zugleich am wenigsten offen gegenüber einer Revision sind (Gross Stein 2012, S. 135). Im Hinblick auf die methodologisch anspruchsvolle Frage, wie Verteidigungskognitionen bei sicherheitspolitischen Entscheidungsträgern nachgewiesen werden können, verweist Tetlock (2005) auf die rhetorische Ebene. Aktivierte und damit potentiell einflussreiche Verteidigungskognitionen, wie sie häufig bei der Rechtfertigung erfolgloser Sicherheitspolitiken zu finden sind, schlagen sich Tetlock (2005, S. 129) zufolge in typischen Argumentationsmustern von Entscheidungsträgern nieder. Exemplarisch hierfür sind folgende Argumentationsmuster: Lokale Bedingungen für einen erfolgreichen Militäreinsatz seien nicht erfüllt gewesen; Konsequenzen der (Fehl)Politik werden als beinahe erreichte Zielverwirklichung deklariert; Entscheidung wird als „richtiger Fehler“ im Dienst einer höheren Mission verteidigt etc. Der explantorische Mehrwert, der mit der Kenntnis psychologischer Mechanismen wie Verteidigungskognitionen und kognitiven Verzerrungen verbunden ist, zeigt sich im Bereich der Abschreckungspolitik.

Das altbekannte historische Phänomen der Abschreckung, dem sich schon Thukydides in seiner Analyse des Peloponnesischen Krieges widmete, zieht nach wie vor ungeteilte Aufmerksamkeit seitens der sicherheitspolitischen Forschung auf sich, gleichwohl im nuklearen Zeitalter mit einer neuen Qualität. Bei der psychologischen Analyse von Abschreckungspolitik ist zwischen einer eher passiven und einer aktiven Form der Abschreckung zu differenzieren, die Thomas Schelling (1976, S. 78–80) mit dem Begriffspaar deterrence/compellence – verstanden als Abschreckung bzw. Zwangsanwendung – umschrieben hat. Demnach zielt Abschreckung (deterrence) auf die Erhaltung des Status quo ab, indem Status quo verändernde Handlungen des Gegners verhindert werden. Dahingegen verfolgt die Zwangsanwendung (compellence) das Ziel, den Status quo zu verändern, indem vom Gegner bestimmte Handlungen erzwungen werden. Entsprechend dieser Differenzierung zwischen zwei Formen der Abschreckung lassen sich auch zwei Formen von Bedrohungen unterscheiden: Abschreckungs- und Zwangsbedrohungen (deterrent threats/compellent threats) (Gross Stein 2013, S. 365).

Als Erfolgsbedingungen der Abschreckungspolitik im Sinne einer militärischen Konflikt- und Kriegsverhütung gelten (Ahlbrecht et al. 2009, S. 133) erstens die Fähigkeit des Abschreckers, dem Gegner einen von diesem als inakzeptabel empfundenen Schaden zuzufügen (capability); zweitens die Möglichkeit, dem Gegenspieler eine solche Drohung zu übermitteln (communication); sowie drittens das Geschick, den Gegner eine solche Drohung glauben zu machen (credibility). Eine vierte Bedingung besteht schließlich im Rationalitätsvorbehalt, d. h. der Gegner werde seine Handlungsmöglichkeiten auf Grundlage von Kosten-Nutzen-Kalkülen abwägen und Optionen, bei denen die Kosten den Nutzen übersteigen, verwerfen.

Im Unterschied zu rationalistischen Erklärungsansätzen der Abschreckungspolitik, die sich auf die sendende Seite und die „Logik des Sendens“ konzentrieren, widmet sich Robert Jervis (2002) auch der empfangenden Seite, d. h. der „Logik der Perzeptionen“ und den damit verbundenen Dynamiken. Jonathan Mercer (2010) unterstreicht darüber hinaus die Bedeutung von Überzeugungen auf Seiten des Empfängers. Diese sind laut Mercer (2010, S. 2) nicht nur kognitiv, sondern auch emotional beschaffen. Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Drohungen als einer zentralen Voraussetzung für erfolgreiche Abschreckungspolitik hebt Mercer hervor, dass diese bei weitem über rein rationale Erwägungen hinausgehe, nämlich auch emotionale Überzeugungen des Empfängers umfasst. Als „emotionale Überzeugung“ (emotional beliefs) bezeichnet Mercer (2010, S. 2) jene Emotion, „[which] constitutes and strengthens a belief and which makes possible a generalization about an actor that involves certainty beyond evidence“.

Übertragen auf die Abschreckungspolitik bedeutet dies, dass eine als glaubwürdig erachtete Drohung der emotionalen Überzeugung des Empfängers bedarf, die wiederum von der Selektion und der Interpretation von Signalen des Senders sowie der Risikoeinschätzung bestimmt wird. Da Emotionen in aller Regel Gedanken vorausgehen, sind auch Bewertungen und Einschätzungen in hohem Maße bestimmt von Emotionen (McDermott 2004a, S. 162; Cohen 2005, S. 3; Damasio 2006, S. 159). Erst die Berücksichtigung unterschiedlicher Emotionen, insbesondere Angst und Wut, mit ihren jeweils spezifischen Auswirkungen auf das Verhalten von Entscheidungsträgern hat vormalige Blind Spots der Abschreckungsforschung geschlossen (Gross Stein 2012, S. 143). Während Angst Unsicherheit weckt und risikoaverses Verhalten zeitigt, bewirkt Wut Sicherheit und Risikoakzeptanz (Wolf 2012, S. 611, 616; Gross Stein 2013, S. 383).

Indes beschränkt sich eine psychologische Betrachtungsweise von Abschreckungspolitik nicht auf kognitive Erklärungsfaktoren in Form von Fehlperzeptionen oder Fehleinschätzungen (Duelfer und Dyson 2011), sondern ergänzt diese zunehmend um einen emotionsbasierten Zugang, der neueren psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung trägt (McDermott 2004b; Marcus 2013, S. 99–127). So lassen sich Emotionen zum einen als Informationen betrachten, die Akteure auf ihre unbewussten Prozesse aufmerksam machen, die dann in Form von bewussten Gedanken und Gefühlen ihre Wahrnehmungen und Überzeugungen vom politischen Gegenüber beeinflussen (Gross Stein 2013, S. 379–380). Überdies verweisen sozialpsychologische Zugänge auf die Bedeutung des sozialen Kontextes bei der Bedeutungszuschreibung von Emotionen (Saurette 2006, S. 507–508). Demnach bedarf die Entstehung eines Demütigungs- oder Bedrohungsgefühls einer intersubjektiv geteilten Auffassung darüber, was als angemessenes soziales Verhalten gilt und wird über die innere Bezugnahme auf eine soziale Norm vermittelt.

6 Polyheuristische Theorie: Komplexitätsreduzierung bei Entscheidungsfindung

Mit ihrer Verbindung eines kognitiven und rationalistischen Ansatzes liefert die maßgeblich von Alexander Mintz (1993; 2002; 2004; Mintz und Geva 1997) entwickelte Polyheuristische Theorie (PHT) einen komplementären Zugang zur Analyse außenpolitischer Entscheidungen. Ausgangspunkt ist eine (wahrgenommene) Bedrohungssituation, auf die zu reagieren dem Politiker eine Vielzahl von Optionen zur Verfügung stehen wie Nichtstun, Abbruch diplomatischer Beziehungen, Verhängung von Wirtschaftssanktionen, militärische Intervention etc. Jede dieser Entscheidungsoptionen hat Konsequenzen in mehreren Wertedimensionen, d. h. der militärischen, ökonomischen, innen- bzw. machtpolitischen Dimension (Levy 2013, S. 317). Einen übergeordneten Stellenwert misst Mintz (2004, S. 7) indes der innen- bzw. machtpolitischen Dimension bei, weshalb er auch „domestic politics as the ‚essence of decision‘“ bezeichnet.

Der nachfolgende außenpolitische Entscheidungsprozess vollzieht sich gemäß der PHT in zwei Phasen mit jeweils spezifischen Entscheidungslogiken. Entsprechend des kognitiven Zugangs, den die PHT für die erste Phase wählt, vereinfachen Entscheidungsträger zunächst die komplexe Entscheidungsvielfalt mittels Heuristiken (Mintz und DeRouen 2010, S. 79), worunter mentale shortcuts bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen verstanden werden (Cottam et al. 2010, S. 338). Heuristiken erfordern Mintz (1993, S. 599) zufolge keine detaillierten und komplizierten Vergleiche von relevanten politischen Alternativen, sondern ermöglichen es dem Politiker, die bestehenden Optionen rasch und größeren Aufwand auf der Grundlage eines oder mehrerer Kriterien einzugrenzen. Als wichtigstes Kriterium für die Vorauswahl bzw. Elimination von Entscheidungsoptionen gilt die Verlustaversion, weshalb die PHT für die erste Phase des Entscheidungsprozesses ein „nichtkompensatorisches Prinzip“ (noncompensatory principle) annimmt. Demnach besteht die Handlungsmaxime des Entscheidungsträgers darin, nicht kompensierbare Verluste zu vermeiden, d. h. „politicians will rarely choose an alternative that will hurt them politically“ (Mintz 2002, S. 3). Mit anderen Worten: „One or more advantages of an option cannot compensate for that option’s critical disadvantage“ (Breuning 2007, S. 66). Entsprechend der nichtkompensierbaren politischen Verlustvariable eliminiert der Entscheidungsträger in der ersten Phase des Entscheidungsprozesses alle Optionen, die seiner Ansicht nach in der von ihm prioritär behandelten Dimension – in aller Regel die innen- bzw. machtpolitische (Levy 2013, S. 317) – die Mindestanforderung nicht erfüllen (Mintz 2004, S. 9).

Mit ihren Kernannahmen zur ersten Phase außenpolitischer Entscheidungsprozesse, insbesondere der eingeschränkten Prüfung von Entscheidungsoptionen mittels Heuristiken, der Priorisierung von Dimensionen und der subjektiv festgelegten Mindestanforderung an Entscheidungsoptionen grenzt sich die PHT kritisch von rationalistischen Ansätzen der Außenpolitikanalyse ab (Mintz und Geva 1997, S. 84–87). Gehen doch letztere von einer umfassenden Prüfung von Entscheidungsoptionen, einer vollständigen Kosten-Nutzen-Abwägung sämtlicher Dimensionen sowie einem kompensatorischen Prinzip aus, demzufolge Nachteile in einer Dimension durch Vorteile in einer anderen Dimension ausgeglichen werden können.Footnote 2 Darüber hinaus liegt rationalistischen Ansätzen das Konzept des Nutzen maximierenden Akteurs zu Grunde, der die aus seiner Sicht „beste“ Option auswählt, wohingegen die PHT – quasi als spiegelbildliche Verkehrung ihrer Mindestanforderung – davon ausgeht, dass Entscheidungsträger ihre Bemühungen einstellen, sobald sie eine „ausreichend gute“ Option ausfindig gemacht haben. Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen rationalistischen Zugängen und der PHT betrifft die Inhalte und die Reihenfolge des Framings von Entscheidungsoptionen (Brummer und Oppermann 2013, S. 180). Während rationalistische Ansätze davon ausgehen, dass sowohl die Art und Weise als auch die Reihenfolge des Framings von politischen Alternativen unerheblich sind, hebt die PHT mit Verweis auf die Verlustaversion hervor, dass die Bewertung von Optionen davon abhängt, ob diese als (Teil)Erfolge oder etwaige Misserfolge präsentiert werden.

In diesem Zusammenhang knüpfen jüngere PHT-Studien (Oppermann 2012; Metzen 2013) an die Salienz-Forschung an, gemäß derer Themenfelder in ihrer Salienz variieren, d. h. auf eine unterschiedlich hohe bzw. niedrige Resonanz innerhalb der Bevölkerung oder bestimmten Bevölkerungsgruppen stoßen, und somit in ihrer Bedeutsamkeit für politische Wahlentscheidungen divergieren. Auf diese Weise lässt sich das nahezu als Automatismus behandelte nichtkompensatorische Prinzip der ersten Generation von PHT-Studien kontextspezifisch präzisieren.

Die angeführten Unterschiede zwischen kognitiven und rationalistischen Kernannahmen bezüglich der ersten Phase außenpolitischer Entscheidungsprozesse sind in der zweiten Phase des PHT-Modells insofern nichtig, als die Festlegung der Entscheidungsträger auf eine Handlungsoption nach rationalistischen Prinzipien angenommen wird. Zu Grunde liegt hierbei das Akteurskonzept des homo oeconomicus, der unter den verbliebenen Optionen jene wählt, bei der der Nutzen am größten und die Kosten am geringsten sind (Mintz 2004, S. 4–6). Zum Tragen kommt in dieser Phase das rationalistischen Ansätzen inhärente kompensatorische Entscheidungsprinzip eines umfassenden Abwägungsprozesses von Kosten, Nutzen und Risiken ohne die Nutzung von Heuristiken (Mintz und DeRouen 2010, S. 35). Gemäß dem Akteurskonzept des homo oeconomicus wählt der Entscheidungsträger unter den verbliebenen Optionen die „beste“ aus (Mintz 2004, S. 4–6).

Wenngleich die PHT insbesondere mit ihrem „Herzstück“, nämlich dem aus der Verlustaversion von (politischen) Akteuren abgeleitetem nichtkompensatorischem Entscheidungsprinzip (Mintz 2004, S. 8) in Phase 1 einen innovativen Ansatz darstellt (Oppermann 2012, S. 2), besteht in mehrfacher Hinsicht weiterer Spezifierungsbedarf. So bildet die Operationalisierung der nichtkompensatorischen politischen Verlustvariable eine zentrale Herausforderung bei der Nutzbarmachung der PHT für die Analyse außenpolitischer Entscheidungsprozesse. Mintz (2004, S. 9) zufolge ist eine Entscheidungsoption unter Anderem dann mit inakzeptablen innenpolitischen Kosten verbunden, wenn zu erwarten ist, dass ihr seitens der Bevölkerung keine bzw. nachlassende Unterstützung zuteil wird, die Popularität des Politikers schwindet oder gar seine Wiederwahlaussichten gefährdet werden, seine Stellung in der eigenen Partei geschwächt oder der Fortbestand der Regierungskoalition aufs Spiel gesetzt wird. Indes lässt diese Auflistung die Frage offen, ob eine oder mehrere der angeführten Bedingungen vorliegen müssen, damit der Entscheidungsträger eine Option ausschließt, und inwiefern diese Aspekte in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen (Brummer und Oppermann 2013, S. 179). Eine zweite theoretisch-konzeptionelle Schwäche der PHT betrifft das Inkrafttreten des nichtkompensatorischen Prinzips als solchem, d. h. die Aktivierung dieser Heuristik durch das Staatsoberhaupt selbst oder seine Berater qua entsprechendem, auf Kosten bzw. Verluste fokussiertem Briefing. Drittens betont die PHT zwar einerseits den Evaluierungsprozess von Entscheidungsoptionen in Phase 2, vernachlässigt allerdings den Selektionsprozess in Phase 1 (Breuning 2007, S. 67). Infolgedessen bleibt die Frage, wie politische Entscheidungsträger überhaupt mögliche Optionen identifizieren, unterspezifiziert.Footnote 3

Zur Erhellung dieses Blind Spots ist eine Erweiterung der PHT um individualpsychologische Ansätze gewinnbringend, mittels derer die akteursspezifischen Weltsichten in Form von politischen Überzeugungen erfasst werden können – und somit die Black Box Individuum in ihrer jeweiligen kognitiven Beschaffenheit geöffnet werden kann. Eine Möglichkeit hierzu liefert der ebenfalls kognitionspsychologisch ausgerichtete Operational Code-Ansatz.Footnote 4

7 Zugänge zur Black Box ‚Individuum‘: Operational Code-Ansatz und Leadership Trait Assessment-Ansatz

Der kognitionspsychologisch ausgerichtete Operational Code-Ansatz und der multivariable Leadership Trait Assessment-Ansatz sind die beiden zentralen persönlichkeitspsychologischen Ansätze in der Außenpolitikforschung. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie einen analytisch ausgereiften, methodisch belastbaren Zugriff auf die Black Box ‚Individuum‘ liefern. Hierbei liegt dem Leadership Trait Assessment-Ansatz ein dreidimensionales Persönlichkeitskonzept zu Grunde, das sowohl Kognitionen, Eigenschaften als auch Motivationen umfasst, wohingegen sich der Operational Code-Ansatz auf die kognitive Dimension politischer Persönlichkeiten fokussiert.

7.1 Operational Code-Ansatz: „beliefs matter“

Der Operational Code-Ansatz betrachtet die politischen Überzeugungen von Entscheidungsträgern als zentrale Einflussfaktoren bei ihren außenpolitischen Entscheidungen (George 1979, S. 3; Walker und Schafer 2006a, S. 7). In Abhängigkeit vom Regierungssystemtypus gilt das primäre Interesse dem individuell geprägten Überzeugungssystem, d. h. dem Operational Code (OPC) des Präsidenten bzw. Premierministers, mitunter auch jenem ausgewählter Minister oder Berater. Sein methodologisches Ausgereiftsein verdankt der OPC-Ansatz insbesondere den Arbeiten von Stephan Walker, Mark Schafer und Michael Young, die standardisierte Prozeduren für die Erhebung wie auch die Auswertung von OPCs entwickelt haben (Walker et al. 1998). Seither hat sich der OPC-Ansatz als maßgeblicher kognitionspsychologischer First Image-Ansatz in der Außenpolitikforschung etabliert (Walker et al. 2011).

7.1.1 Kernaussagen des Operational Code-Ansatzes

Der OPC-Ansatz geht davon aus, dass politische Entscheidungsträger kognitiven Beschränkungen unterliegen, die an individuell geprägte Überzeugungssysteme gekoppelt sind. Letztere dienen dem Politiker als Orientierungsmittel bei der Simplifizierung und Strukturierung einer andernfalls überwältigend komplexen externen Welt. Als potentiell relevante Einflussfaktoren für außenpolitische Entscheidungsprozesse gelten zehn politische Überzeugungen, die in Form von mentalen Schablonen den jeweils spezifischen OPC individueller Entscheidungsträger konstituieren (George 1979, S. 100). Definiert wird der OPC als

„a set of general beliefs about fundamental issues of history and central questions of politics as these bear, in turn, on the problem of action. (…) They serve (…) as a prism that influences the actor‘s perceptions and diagnoses of the flow of political events, his definitions and estimates of particular situations. These beliefs also provide norms, standards, and guidelines that influence the actor’s choice of strategy and tactics, his structuring and weighing of alternative courses of action“ (George 1969, S. 191).

Der OPC umfasst zum einen fünf philosophische Überzeugungen, die Aufschluss darüber geben, wie der Akteur die externe Welt sieht, d. h. die Beschaffenheit der internationalen Politik oder seines politischen Gegenübers; sowie fünf instrumentelle Überzeugungen, die die interne Welt des Akteurs widerspiegeln, d. h. die von ihm präferierten Strategien im Umgang mit anderen Akteuren der internationalen Politik (Walker 2011, S. 6). Einen Überblick über die politischen Überzeugungen, die bei der Ermittlung des OPCs von politischen Entscheidungsträgern erhoben werden, verschafft folgende Tabelle (vgl. Tab. 1):

Tab. 1 Philosophische und instrumentelle Überzeugungen

Ein übergeordneter Stellenwert innerhalb des OPC wird den Schlüsselüberzeugungen P1 (Natur des politischen Universums), P4 (Glaube in die eigenen Kontrollmöglichkeiten) und I1 (präferierte Strategie zur Zielbestimmung) beigemessen (George 1979, S. 101; Walker et al. 2003, S. 231–235), da diese als grundlegend für die Ausprägung der anderen Überzeugungen gelten (Malici 2006a, S. 46). Dieser Wirkungskanal wird auch im Falle von Veränderungen angenommen (George 1969, S. 217–218), wobei philosophische Überzeugungen als leichter veränderbar gelten als instrumentelle Überzeugungen (Walker et al. 1998, S. 187). Amts- und Rollenwechsel von Entscheidungsträgern, Lerneffekte und traumatische Ereignisse können als Auslöser bzw. Katalysatoren für kognitive Veränderungsprozesse fungieren (Renshon 2008, S. 841). Hinsichtlich der inneren Beschaffenheit des OPC betont George (1979, S. 100), dieser habe zwar „a kind of internal consistency or interconnectedness for the actor, though not necessarily a logical consistency“.

Der konzeptionelle Brückenschlag zwischen den Überzeugungen von politischen Entscheidungsträgern und ihren Handlungen wird über die Theorie der kognitiven Konsistenz hergestellt (Brummer und Oppermann 2013, S. 160), gemäß derer Menschen die Neigung innewohnt, kognitive Dissonanzen zwischen alten Überzeugungen und diese herausfordernden, neuen Informationen zu vermeiden (Gross Stein 2012, S. 133–134). Bezogen auf den Nexus zwischen dem OPC von Entscheidungsträgern und ihren außenpolitischen Entscheidungen verweist George (1979, S. 103) auf zwei Arten von Neigungen: Zum einen diagnostische Neigungen, die das Ausmaß an Informationsaufnahme und deren Evaluation beeinflussen und die Situationsanalyse des politischen Entscheidungsträgers in bestimmte Richtungen lenken; sowie (Aus)-Wahlneigungen, die den Politiker dazu veranlassen, vertraute Handlungsalternativen anderen möglichen Entscheidungsoptionen vorzuziehen. Damit ist allerdings nach George (1979, S. 103) mitnichten ein Determinismus verbunden, vielmehr handelt es sich bei den politischen Überzeugungen um „heuristical aids to decision, not a set of mathematical algorithms“. Im Unterschied zu George (1969, S. 191), der den OPC von Staatsoberhäuptern als einen signifikanten, allerdings nicht alleinigen Einflussfaktor erachtet, betrachten nachfolgende Generationen von OPC-Forschern im Zuge ihrer Ausdifferenzierung des Ansatzes die politischen Überzeugungen von Entscheidungsträgern als Kausalmechanismus bei der Erklärung staatlicher Außenpolitik (Schafer und Walker 2006b).

Im Vergleich zu den US-amerikanischen Präsidenten, die nicht nur, aber auch im Bereich der OPC-Forschung zweifelsohne die am häufigsten und tiefgehendsten untersuchten Individuen der internationalen Beziehungen sind (u. a. Renshon 2008, 2011; Winter 2011), lassen sich die Bundeskanzler in theoretisch-konzeptioneller Hinsicht als „vernachlässigte“ Untersuchungsobjekte bezeichnen.Footnote 5 Angesichts der Vielzahl von Studien zu Bundeskanzlern, die der deutschsprachige Forschungszweig der politischen Führung in den letzten Jahren hervorgebracht hat, ist es umso erstaunlicher, dass hierbei kaum bis gar nicht auf die etablierten individualpsychologischen Analyseansätze der angelsächsischen Außenpolitik- und Leadership-Forschung zurückgegriffen wurde.Footnote 6 Umso verdienstvoller die OPC-Analyse, die Klaus Brummer (2011) von Bundeskanzlerin Merkel vorgelegt hat. Brummer untersucht, inwieweit sich die Verhaltenserwartungen, die sich aus den Überzeugungen von Kanzlerin Merkel ableiten lassen, mit der von ihr und ihren Regierungen verfolgten Afghanistanpolitik deckt. Der Kongruenztest ergibt, dass die deutsche Afghanistanpolitik den Überzeugungen von Kanzlerin Merkel entspricht, und zwar sowohl bei gleichbleibenden Überzeugungen als auch im Falle ihrer Modifikation, die Brummer (2011, S. 163) sowohl bei einigen philosophischen als auch instrumentellen Überzeugungen seit Ende 2008 ermittelt.

Fokussiert sich der OPC-Ansatz ausschließlich auf politische Überzeugungen, und damit auf kognitionspsychologische Persönlichkeitsvariablen, zur Erklärung von Außenpolitik, liegt dem Leadership Trait Assessment-Ansatz ein mehrdimensionales Persönlichkeitsmodell zu Grunde.

7.2 Leadership Trait Assessment-Ansatz: „Who leads matters“

Einen kognitions-, eigenschafts- und motivationspsychologischen Forschungsstrang vereint der Leadership Trait Assessment-Ansatz (LTA-Ansatz), der maßgeblich von Margaret Hermann geprägt worden ist (Hermann 1980, 1984, 2002, 2003a, b) und seither vielfältige Anwendung in der Außenpolitikforschung findet (Karboo und Hermann 1998; Preston 2001; Dyson 2004, 2006, 2009).

Ausgangspunkt bildet ein dreidimensionales Persönlichkeitskonzept, das sowohl Kognitionen, Dispositionen als auch Motivationen umfasst. Als entscheidend für die Beschaffenheit des außenpolitischen Führungsstils von Staatsoberhäuptern werden folgende Persönlichkeitsvariablen erachtet: Glaube an die eigenen Kontrollfähigkeiten; Machtbedürfnis; konzeptionelle Komplexität im Sinne einer differenzierten Wahrnehmung und Bewertung von Personen, Ideen oder Politiken; Selbstbewusstsein; Aufgaben bzw. Beziehungsorientierung; Misstrauen gegenüber Anderen sowie Ingroup Bias, d. h. inwieweit die eigene Gruppe als zentral bzw. überlegen erachtet wird. Die Ausprägungen dieser sieben Persönlichkeitsvariablen bestimmen gemäß dem LTA-Ansatz die Beschaffenheit des außenpolitischen Führungsstils.

Definiert wird dieser als „the ways in which leaders relate to those around them – whether constituents, advisers, or other leaders – and how they structure interactions and the norms, rules, and principles they use to guide such interactions“ (Hermann, 2003a, S. 181). Hinsichtlich der Beziehung zwischen der politischen Führungspersönlichkeit und ihren Beratern oder Anhängern lassen sich drei analytische Dimensionen unterscheiden: (1) Umgang mit Beschränkungen; (2) Offenheit gegenüber neuen Informationen; (3) Motivation (Hermann 2002, S. 4–9). In der ersten Dimension des politischen Führungsstils entspannt sich das mögliche Spektrum von respektierendem bis herausforderndem Umgang mit Beschränkungen. Bei der Offenheit gegenüber neuen Informationen widmen sich LTA-Analysen der Frage, inwieweit Führungspersönlichkeiten Informationen selektiv aufnehmen, d. h. primär ihre bestehenden Überzeugungen bestätigt wissen wollen oder willens und fähig sind, ihre Sichtweisen ggf. zu modifizieren. In der dritten Analysedimension steht die motivationale Orientierung der Führungspersönlichkeit im Mittelpunkt, wobei zwischen einer aufgaben- bzw. problemorientierten Motivation und einer interpersonalen, auf Beziehungen zu Beratern oder Anhängern ausgerichteten Motivation differenziert wird.

Der Nexus zwischen den sieben Persönlichkeitsvariablen und den drei Dimensionen des politischen Führungsstils wird wie folgt konzeptionalisiert: der Glaube an die eigenen Kontrollfähigkeiten und das Machtbedürfnis sind entscheidend für den Umgang mit Beschränkungen; die konzeptionelle Komplexität und das Selbstbewusstsein bestimmen die Offenheit gegenüber neuen Informationen; die Motivation der Führungspersönlichkeit für die Ausübung ihres Amtes hängt von ihrer grundsätzlichen motivationalen Orientierung, dem Ausmaß ihres Misstrauens gegenüber Anderen und der Stärke ihres Ingroup Bias ab (vgl. Tab. 2 für den Nexus zwischen Führungspersönlichkeit und Führungsstil):

Tab. 2 Leadership Trait Assessment

Aus den persönlichkeitsspezifischen Ausprägungen der drei Leadership-Dimensionen resultieren unterschiedliche außenpolitische Führungsstile, zu deren Einordnung LTA-Forscher wie Margaret Hermann (2002, S. 9) oder Thomas Preston (2001, S. 16–17) verschiedene Typologien entwickelt haben.Footnote 7 Soll der (potentielle) Einfluss von Führungspersönlichkeiten auf außenpolitische Entscheidungsprozesse in einem kausalanalytischen Forschungsdesign ermittelt werden, bietet es sich an, den Führungsstil als intervenierende Variable zu konzeptionalisieren, die die Wirkung der Persönlichkeitsausprägung auf den Verlauf und das Ergebnis des außenpolitischen Entscheidungsprozesses kanalisiert. Als zentrale Modi des Einflusses gelten beispielsweise der Umgang mit Konflikten innerhalb der Kernexekutive oder Strategien des Informationsmanagements (Karboo und Hermann 1998, S. 574).

Fokussieren sich die bislang diskutierten individualpsychologischen Ansätze auf individuelle Entscheidungsträger, so ist das Augenmerk beim sozialpsychologischen Groupthink-Modell und psychoanalytischen Konzept der Abwehrmechanismen auf (unbewusste) Prozesse innerhalb von administrativen Entscheidungsgruppen oder Konfliktparteien gerichtet.

8 Sozialpsychologische und psychoanalytische Ansätze

8.1 Kernaussaugen des Groupthink-Modells: (Tückische) Homogenisierung durch Gruppendruck

Obwohl Irving Janis (1972, 1982) grundlegende Studien zum Syndrom des Groupthink schon einige Dekaden zurückliegen, gelten sie noch immer als zentrales Referenzwerk der gruppenpsychologischen Außenpolitikforschung (Hermann und Hagan 2002; Schafer und Crichlow 2010). Das Groupthink-Modell richtet sein Augenmerk auf die außenpolitische Entscheidungsfindung in Kleingruppen wie Regierungen, Regierungsausschüsse oder ad hoc gebildete Gremien. Aus sozialpsychologischer Perspektive sind hierbei insbesondere (unbewusste) gruppendynamische Prozesse und Zwänge von Interesse, da diese als Quelle für außenpolitische Fehleinschätzungen betrachtet werden. Verstanden wissen möchte Janis (1982, S. 7) sein Groupthink-Modell als komplementäres Modell zu rationalen Modellen der außenpolitischen Entscheidungsfindung für jene psychologischen Aggregatszustände, in denen Entscheidungsträger als „hard hearted but soft-headed“ Akteure agieren.

Unter bestimmten Bedingungen, so eine zentrale Annahme des Groupthink-Modells, kann jede Entscheidungsgruppe bzw. jedes ihrer Mitglieder zum Opfer von Groupthink werden (Janis 1982, S. 243). Groupthink bezeichnet „a mode of thinking that people engage in when they are deeply involved in a cohesive in-group, when the members’ strivings for unanimity override their motivation to realistically appraise alternative courses of action“ (Janis 1982, S. 9). Die Entstehung von Groupthink-Tendenzen bedarf Janis (1982, S. 177) zufolge des Zusammenspiels von drei Bedingungen. Neben einer moderaten bis starken Gruppenkohärenz, die Konformitäts- und Polarisierungsneigungen begünstigt, führt Janis (1982, S. 176–177, 244–249) organisationsstrukturelle Bedingungen an wie soziale und ideologische Homogenität der Gruppenmitglieder, Isolation der Entscheidungsgruppe, Mangel einer unabhängigen bzw. unparteiischen Führungstradition sowie fehlende Normen zur Strukturierung und Bewältigung des Entscheidungsprozesses. Schließlich Stress produzierende Kontextbedingungen, wozu die intrapsychische Belastung von Gruppenmitgliedern gehört, die dazu neigen, wenig zuversichtlich beim Finden einer besseren Lösung als jener der Führungsperson bzw. der einflussreichen Gruppenmitglieder zu sein (Janis 1982, S. 244, 250). Weitere Kontextbedingungen sind ein (temporär) geringes Selbstwertgefühl der Gruppenmitglieder infolge jüngster Misserfolge (Janis 1982, S. 244, 255), ein steigendes Bedürfnis nach Gruppenharmonie (Janis 1982, S. 106, 256), samt emotionaler Unterstützung durch die Anderen (Janis 1982, S. 253–254) sowie extreme Schwierigkeiten bei der aktuellen Entscheidungsfindung (Janis 1982, S. 244).

Dominiert Groupthink den Informations- und Entscheidungsfindungsprozess einer Gruppe, zeigt sich dies in acht Symptomen, die Janis (1982, S. 256–259) drei Typen zuordnet: Selbstüberschätzung, Engstirnigkeit sowie Uniformitätsdruck der Gruppe. Die Überschätzung der eigenen Gruppe speist sich aus der Illusion der eigenen Unverletzlichkeit und dem Glauben an die moralische Überlegenheit. Die Engstirnigkeit der Entscheidungsgruppe spiegelt sich zum einen in kollektiven Rationalisierungen bestehender Annahmen trotz gegenläufiger neuer Informationen wider sowie in Stereotypisierungen des Gegenübers (out-group), die im destruktivsten Falle in eine Dehumanisierung und Deindividualisierung feindlicher Akteure münden. Der Typus des Uniformitätsdruck umfasst vier Symptome des Groupthink-Syndroms: Selbstzensur, Illusion der Einstimmigkeit, Druck auf abweichend Denkende und selbsternannte Mindguards. Gruppenintern fungieren diese Symptome als eine Art Spannungsabfuhr von unerwünschten Gefühlen wie Versagensängsten und dienen der emotionalen Beruhigung der Gruppenmitglieder.

Zugleich beeinträchtigen sie den Informations- und Entscheidungsfindungsprozess der Gruppe, dessen Defizite Janis (1982, S. 175) zufolge anhand von sieben Indikatoren ermittelt werden kann: Voreilige Beschränkung auf wenige, meist nur zwei Handlungsoptionen; lückenhafte Prüfung der Handlungsziele; unzureichende Risikoabwägungsprozesse der präferierten Handlungsoption; keine selbstkritische Prüfung der bereits (voreilig) getroffenen Vorentscheidungen; kein Abgleich der eigenen Position mit externen Einschätzungen; verzerrte, lediglich bestehende Haltungen bestätigende Informationsaufnahme; sowie keine Reflektion möglicher Hindernisse und negativer Folgen der favorisierten Strategie oder Ausarbeitung von Notfallplänen. Je stärker ausgeprägt diese Defizite beim Informations- und Entscheidungsprozess sind, desto wahrscheinlicher sind (desaströse) Fehlentscheidungen. Indes besteht Janis (1982, S. 11, 175) zufolge kein Automatismus zwischen beiden Phänomenen: Weder bestehe zwischen Groupthink und außenpolitischen Fiaskos ein Automatismus, noch seien letztere zwingend auf diese Symptome zurückzuführen.

Die amerikanische Außenpolitik gilt als anfällig für die Entwicklung des Groupthink-Syndroms (Mintz und DeRouen Jr. 2010, S. 45), wofür als exponiertes Beispiel häufig der Irak-Krieg 2003 (Kuntz 2007; Badie 2010; Lake 2011) angeführt wird. Inwiefern diese Anfälligkeit durch die Spezifika präsidentieller Regierungssysteme mit Einparteienregierungen begünstigt wird, ist nach wie vor ein Forschungsdesiderat in der Groupthink-Forschung. Ein weiterer Spezifizierungsbedarf des Groupthink-Modells besteht hinsichtlich des Nexus zwischen Persönlichkeitstypus und Stressresistenz. Verweisen doch (neuro)psychologische Erkenntnisse darauf, dass Persönlichkeitstypen in Stresssituationen unterschiedliche Reaktionsweisen an den Tag legen (Renshon und Renshon 2008, S. 512–514; Dyson und t’Hart 2013, S. 407–408), was die Uniformitätsannahme hinsichtlich menschlichen Verhaltens in Stresssituationen, die dem Groupthink-Modell zu Grunde liegt, in Frage stellt.

8.2 Psychoanalytische Ansätze: Individuelle und kollektive Abwehrmechanismen als Erklärungsfaktoren politischer Phänomen

Psychoanalytische oder psychodynamische Ansätze begründen eine der ältesten Forschungstraditionen der Persönlichkeitspsychologie wie auch der Politischen Psychologie (Cottam et al. 2010, S. 15; Post 2013, S. 461). Ausgangspunkt der unterschiedlichen Ansätze (Stemmler et al. 2011, S. 340–353) bildet das Eisbergmodell von Sigmund Freud, der die menschliche Psyche mit einem Eisberg verglich, bei dem sich nur der oberste kleine Teil sichtbar über der Wasseroberfläche befindet, wohingegen etwa 90 Prozent im Verborgenen liegen. Ähnliches gelte für die Beschaffenheit der menschlichen Psyche. Das Bewusstsein von (politischen) Akteuren ist demnach nicht Zentrum der Persönlichkeit, sondern allenfalls mit der Spitze eines Eisbergs vergleichbar, dessen Hauptmasse verborgen bleibt und als Unbewusstes die entscheidenden Impulse für das (politische) Verhalten liefert (Stemmler et al. 2011, S. 124). Folglich richten psychoanalytisch orientierte Studien der Politischen Psychologie ihr Augenmerk auf unbewusste Bedürfnisse, Ambivalenzen und Konflikte innerhalb von Individuen oder Gruppen sowie deren Auswirkungen auf politische Prozesse, (Re)Inszenierungen, Handlungen etc. (Laswell 1948, 1960; George und George 1964; Erikson 1969; Mentzos 2002; Volkan 2003; Krell 2004; Wirth 2011).

Ein explanatorischer Mehrwert ist dem psychoanalytischen Forschungszweig mit seinem Konzept der Abwehrmechanismen insbesondere in der Konfliktforschung beizumessen. Innerhalb dieser haben in der postbipolaren Ära insbesondere ethnische Konflikte verstärkt Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil deren sich häufig brutalisierender Konfliktverlauf bis hin zum Genozid mit herkömmlichen Ansätzen, die sich, wie beispielsweise die realistische Group Conflict Theory, ausschließlich auf real bestehende Interessensdivergenzen konzentrieren, nicht zu erklären ist. Wenngleich die im Folgenden angeführten Mechanismen keine genuin inhärenten Merkmale ethnischer Konflikte darstellen, weisen diese in letzteren allerdings eine vergleichsweise starke Ausprägung auf.

Charakteristisch ist eine Polarisierung zwischen „uns“ und „den Anderen“, die sich im extremsten Falle zu einer Dichotomie zwischen „gut“ und „böse“ verfestigt (Volkan 2003, S. 60–62; Krell 2004, S. 83). In aller Regel geht dies mit der Abwertung „der Anderen“ einher, bei der häufig der Abwehrmechanismus der Projektion zu beobachten ist. Die Projektion bzw. Verlagerung der Missbilligung eigener Unzulänglichkeiten und unmoralischer Wünsche auf andere (Stemmler et al. 2011, S. 345) oder gruppeninterner Konflikte auf die andere Gruppe (Krell 2004, S. 84; Fisher et al. 2013, S. 491). In seiner extremsten Form mündet dieser Projektionsprozess in eine Dehumanisierung der anderen (ethnischen) Gruppe (Mentzos 2002, S. 201–202; Haslam 2006, S. 252, 254) und eine Deindividualisierung ihrer Mitglieder, was die Anwendung brutalster Praktiken des Konfliktaustrags gerechtfertigt erscheinen lässt (Cottam et al. 2010, S. 201, 205; Fisher et al. 2013, S. 498). Deren Verantwortung spaltet der handelnde Akteure allerdings häufig durch den Abwehrmechanismus der Depersonalisierung von sich selbst ab. Parallel hierzu erfolgt häufig die projektive Identifizierung, bei der das eigene Selbstwertgefühl durch die Identifikation mit einer Person oder Institution von hohem Rang erhöht wird, in aller Regel verkörpert durch die Führungsperson des Kollektivs (Mentzos 2002, S. 196–197; Wirth 2011, S. 284–341). In diesem Zusammenhang verweisen psychoanalytisch ausgerichtete Konfliktforscher auf den Mechanismus der Kollusion, bei der das (pathologische) Machtbedürfnis der Führungsperson mit den kompensatorischen Größen- und Machtphantasien der Anhänger in einer narzisstischen Beziehung miteinander verschmelzen (Mentzos 2002, S. 202–206; Krell 2004, S. 83).

Ein zentrales Merkmal dieses Prozesses der in-group/out-group-Polarisierung bis hin zur sündenbockartigen Dichotomisierung sind starke emotionale Reaktionen auf die jeweilige out-group, die einen gewaltsamen Konfliktaustrag begünstigen (Halperin 2008). Häufig ist eine Parallelisierung zwischen der Eskalationsstufe des Konflikts und der Intensität der Emotionen zu beobachten, wobei diese beiden Aspekte sich gegenseitig bedingen und verstärken können. So können anfängliche Unzufriedenheit über Bitterkeit und Groll bis hin zu Zorn oder gar Hass gegenüber der anderen (ethnischen) Gruppe kumulieren (Haslam 2006, S. 252–253). Dies geht häufig einher mit einer zunehmenden Zuneigung gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe (Cottam et al. 2010, S. 202), mit deren Größenselbst sich die Gruppenmitglieder projektiv identifizieren. Diese beiden parallel ablaufenden, sich gegenseitig verstärkenden (unbewussten) Prozesse manifestieren sich häufig in der Etablierung von spiegelverkehrten Selbst- bzw. Fremdbildern, bei denen sich die Konfliktparteien selbst in einem stereotypen positiven Licht und den Konfliktgegner in einem ähnlich stark ausgeprägten negativen Licht sehen (Fisher et al. 2013, S. 495).

So lassen sich mit Hilfe des psychoanalytischen Konzepts der Abwehrmechanismen die psychodynamischen Prozesse inner- wie auch zwischenstaatlicher Konfliktverläufe erfassen, die dem Bewusstsein der Konfliktakteure nicht direkt zugängig sind. Vielmehr treten die unbewussten Anteile der Konfliktakteure in Form von Abwehrmechanismen, insbesondere jenen der Dehumanisierung, Deindividualisierung und Depersonalisierung zu Tage und sind somit erkennbar und einer psychologischen Konfliktanalyse zugängig.

Die Heterogenität der interdisziplinären Forschungsperspektive der Politischen Psychologie, die sehr unterschiedliche Forschungszweige umfasst, spiegelt sich auch in einem methodischen Facettenreichtum wider.

9 Methoden & methodologische Herausforderungen der Politischen Psychologie

Das renommierte „Oxford Handbook of Political Psychology“ (Huddy et al. 2013) wie auch einschlägige Einführungsbücher der Politischen Psychologie (Cottam et al. 2010; Lawine 2010; Marcus 2013) lassen ein Kapitel über die Methoden dieser Forschungsperspektive vermissen. Beim kursorischen Streifzug durch die Gefilde der Fachliteratur zeigt sich eine facettenreiche Methodenlandschaft. Politisch-psychologische Studien greifen sowohl auf qualitativ als auch quantitativ ausgerichtete Forschungs-, Erhebungs- und Analysemethoden zurück.

Teilweise lassen sich die gewählten Methoden bestimmten Forschungszweigen innerhalb der Politischen Psychologie zuordnen, wie dies beispielsweise auf tiefenhermeneutische Verfahren (König 1997) und die psychobiographische Methode (Post 2013) zutrifft, die innerhalb des psychoanalytischen Forschungszweigs entwickelt worden sind (Cottam et al. 2010, S. 17–18) und in psychoanalytisch orientierten Analysen beim Persönlichkeitsprofiling Anwendung finden (u. a. George und George 1964; Erikson 1969; Wirth 2011). Auf qualitativ und quantitativ inhaltsanalytische Verfahren beim Persönlichkeitsprofiling greifen dahingegen kognitionspsychologische OPC-Studien oder multivariable LTA-Studien zurück.

Jenseits der jeweils gewählten Methode sehen sich politische Persönlichkeitsprofiler mit einer methodologischen Herausforderung konfrontiert: Wie lassen sich Persönlichkeitselemente von Individuen, wie beispielsweise die politischen Überzeugungen von Entscheidungsträgern, auf eine transparente, valide und belastbare Art und Weise erheben, wenn kein direkter Zugang zu ihnen in Form von persönlichen Gesprächen etc. möglich ist und der Forscher über keine persönlichkeitsdiagnostische Ausbildung verfügt?

OPC- und LTA-Forscher bedienen sich einer at-a-distance-Technik zur Persönlichkeitseinschätzung, d. h. einem inhaltsanalytischen Verfahren zur Auswertung von Sprechakten des betreffenden Entscheidungsträgers in Form von Reden, Interviews, Pressekonferenzen, ggf. auch private Gespräche. Kontrovers diskutiert wird hierbei die Auswertung von vorbereiteten, öffentlichen Sprechakten (Winter 2003, S. 134; Schafer und Walker 2006a, b, S. 47). Das Hauptargument gegen eine Auswertung von Reden lautet, dass diese durch Redenschreiber geschrieben worden seien und infolgedessen die Überzeugungen des Entscheidungsträgers nicht authentisch widerspiegelten. Dem wird entgegengehalten, dass dem Redenschreiber die politischen Neigungen des Entscheidungsträgers bekannt seien, sich diese dementsprechend auch in den verfassten Reden wiederfänden und der Politiker eine inhaltliche Verfälschung seiner Rede ohnehin nicht zulassen würde. Für beide Argumente gibt es empirische Evidenzen, wie die signifikanten Unterschiede bei der vergleichenden Erhebung des öffentlichen und privaten OPCs von Präsident Clinton (Schafer und Crichlow 2000) bzw. die große Kongruenz bei der OPC-Analyse des „öffentlichen“ bzw. „privaten“ Präsidenten Kennedy (Renshon 2009) zeigen. Vor diesem Hintergrund scheint es ratsam, soweit möglich spontane und vertrauliche Sprechakte beim Persönlichkeitsprofiling zu nutzen, allerdings nicht von einer angestrebten Erhebung abzusehen, sollten letztere nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sein – was bei relativ zeitnahen Untersuchungen in aller Regel der Fall sein wird.

Indes ist die Frage nach der Authentizität von (fixierten) Sprechakten keine genuin methodologische Herausforderung von politisch-psychologischen Studien, sondern betrifft – wenn auch in etwas abgeschwächter Form – beispielsweise auch sozialkonstruktivistisch orientierte Untersuchungen, in denen fixierte Sprechakte in Form von Parlamentsreden etc. einen zentralen Bestandteil des Datenmaterials bilden.

Um den Kriterien der Intersubjektivität, Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit bei der Erhebung von Operational Codes von Staatsoberhäuptern gerecht zu werden, haben Stephen Walker und seine Kollegen (Walker et al. 1998, 2003; Schafer und Walker, 2006a, b) das Verbs in Context System (VICS) entwickelt.Footnote 8 Üblicherweise wird das VICS zusammen mit dem computergestützten Inhaltsanalyseprogramm Profiler Plus verwendet, auf das auch LTA-Forscher bei der Erhebung der Persönlichkeitsmerkmale zurückgreifen. Mit Hilfe von VICS und Profiler Plus lassen sich auf Basis von englischen digitalen Textquellen sowohl quer- als auch längsschnittartige Vergleiche gut bewerkstelligen. Verglichen werden kann die Ausprägung von politischen Überzeugungen bzw. von Persönlichkeitsvariablen eines Entscheidungsträgers sowohl zu verschiedenen Zeitpunkten oder in unterschiedlichen Kontexten als auch im Vergleich zu anderen politischen Akteuren.

Mit einer methodologischen Grundsatzentscheidung sehen sich allerdings jene OPC- und LTA-Profiler konfrontiert, welche die Persönlichkeitsausprägung von politischen Entscheidungsträgern jenseits des englischen Sprachraums untersuchen möchten. Soll das VICS und Profiler Plus System genutzt werden, was aus Gründen der Reliabilität, Validität und Komparatistik des Profilings durchaus erstrebenswert wäre, muss auf englischsprachige Übersetzungen der Quellen zurückgegriffen werden, was mitunter mit einem „doppelten muttersprachlichen Verlust“ verbunden ist und somit ggf. auch mit einem Verlust an Authentizität und sprachlicher Kontextsensibilität. Alternativ könnte ein muttersprachliches Codebook angelegt werden in enger Orientierung an den VICS- und Profiler Plus-Codierungen, was allerdings eine vergleichsweise ressourcenintensive Verfahrensweise darstellt mit Einschränkungen hinsichtlich der länderübergreifenden Vergleichsmöglichkeiten politischer Persönlichkeitsausprägungen und Führungsstile. Dass sowohl die Entscheidung für VICS und Profiler Plus als auch der Rückgriff auf qualitativ inhaltsanalytische Verfahrensweise mit einem explanatorischem Mehrwert einhergeht, zeigen die Studien von Malici (2006a) und Brummer (2011) zum OPC von deutschen außenpolitischen Entscheidungsträgern.

Wie das Beispiel des politischen Persönlichkeitsprofiling zeigt, sind die Methoden der Politischen Psychologie als ein Querschnittsbereich zu betrachten, der Forschungszweige übergreifend verläuft.

Weitere zentrale Methoden sind die Kongruenzmethode, die Fallstudientechnik und die Prozessanalyse, die häufig in qualitativ ausgerichteten Forschungsdesigns miteinander kombiniert werden. Darüber hinaus bedienen sich politisch-psychologische Studien sowohl Surveyanalysen und multiplen Regressionsanalysen als auch experimentellen Methoden in Form von Laborexperimenten (Blendin und Schneider 2012) oder Umfrageexperimenten (Mader und Schoen 2013). Seit einigen Jahren wird insbesondere in der Wahlforschung auch verstärkt auf neuere technologisch-innovative Messverfahren zurückgegriffen wie beispielsweise Eye-Tracking, Echtzeitmessung oder interaktive Video-Analysesysteme, um den Zusammenhang zwischen Wahrnehmungen, Informationsaufnahme und Emotionen zu untersuchen (Faas et al. 2010). Die Anwendung neurowissenschaftlicher Verfahren und hier insbesondere bildgebende Verfahren wie die funktionelle Kernspintomographie, die strukturbasierte Kernspintomographie oder die Magnetresonanz-Spektroskopie eröffnen eine vielversprechenden Zugang zum Nexus zwischen politischen Einstellungen und Entscheidungen einerseits sowie cerebralen Strukturen des menschlichen Gehirns andererseits (Marcus 2013, S. 99–127; McDermott 2013, S. 50–51; Jost et al. 2014, S. 7–9, 27–30). Allerdings ist die Anwendung neurowissenschaftlicher Verfahren bei politikwissenschaftlichen Fragestellungen (noch) ein Neuland.

10 Fazit: Mehrwert und Weiterentwicklungspotenziale der Politischen Psychologie für die deutsche IB-Forschung

Psychologische Ansätze der Internationalen Beziehungen können in vielerlei Hinsicht einen explanatorischen Mehrwert für sich beanspruchen. Indem psychologische Analyseansätze akteursspezifische Perzeptionen, Bedeutungszuschreibungen, Informationsverarbeitungen, Emotionen, unbewusste individual- oder gruppenpsychologische Konflikte sowie deren Abwehr in den Blick nehmen, ermöglichen sie es, die subjektive und intersubjektive Dimension der internationalen Beziehungen zu erfassen. Hierbei können psychologische Ansätze, Konzepte und Modelle sowohl in komplementärer als auch konkurrierender Weise nutzbar gemacht werden.

So liefert die Prospect Theory mit ihren Kernaussagen der Verlustaversion oder des endowment effects eine differenzierte Antwort auf die (neo)realistische Gretchenfrage, ob die Betrachtung von Staaten als Sicherheitsmaximierer oder als Machtmaximierer zutreffender ist. Verorten sich Staaten in der Gewinndomäne, so ist ein risikoaverses Verhalten im Sinne des Waltz’schen defensiven Realismus zu erwarten; sehen sich Staaten dahingegen mit der Abwehr von Verlusten konfrontiert, vermag die offensiv-realistische Lesart im Sinne eines risikofreudigen Verhaltens von Mearsheimer Gültigkeit für sich zu beanspruchen (Goldgeier und Tetlock 2010, S. 465).

Ein Verdienst der psychologischen Betrachtungsweise des Sicherheitsdilemmas und der Abschreckungspolitik ist es, mittels eines akteurstheoretischen Zugangs die Bedeutung von Heuristiken, kognitiven Verzerrungen, Verteidigungskognitionen und emotionalen Überzeugungen bei der Perzeption und Einschätzung wie auch Fehlperzeption und Fehleinschätzung von Sicherheitsbedrohungen herausgearbeitet zu haben. Im Unterschied zu rationalistischen Erklärungsansätzen der Abschreckungspolitik, die sich auf die sendende Seite konzentrieren, widmen sich psychologisch orientierte Forscher (u. a. Jervis 2002; Mercer 2010; Gross Stein 2013; Davis 2013) verstärkt den Empfängern, deren „Logik der Perzeption“ auch als emotional beschaffen angenommen wird.

Mit ihrer Verbindung eines kognitiven und rationalen Ansatzes liefert die Polyheuristische Theorie einen komplementären Zugang zur Analyse außenpolitischer Entscheidungen im Zwei-Phasen-Modell mit jeweils spezifischen Entscheidungslogiken. Insbesondere das „Herzstück“ der PHT, nämlich das aus der Verlustaversion von (politischen) Akteuren abgeleitete nichtkompensatorische Entscheidungsprinzip (Mintz 2004, S. 8) in Phase 1 liefert eine überzeugende Erklärung für die rasche Fokussierung außenpolitischer Entscheidungsträger auf wenige „ausreichend gute“ Handlungsoptionen, die sich auf Grundlage des kompensatorischen Entscheidungsprinzips rationaler Ansätze nicht plausibilisieren ließe.

Wenngleich die PHT den First Image-Ansätzen der Außenpolitikforschung zuzurechnen ist, liefert sie keinen Zugriff zur Öffnung der Black Box ‚Individuum‘. Diesen analytischen wie auch explanatorischen Mehrwert kann der ebenfalls kognitionspsychologisch ausgerichtete Operational Code-Ansatz für sich beanspruchen, der sich in einem komplementären Forschungsdesign mit der PHT gewinnbringend verbinden lässt (Metzen 2013). Mit Hilfe des ausgereiften OPC-Instrumentariums lassen sich kognitive Persönlichkeitsausprägungen von Entscheidungsträgern in Form ihrer politischen Überzeugungen erfassen, und hinsichtlich ihres Einflusses auf außenpolitische Entscheidungen überprüfen. Eine zweite Möglichkeit, die Black Box ‚Individuum‘ zu öffnen, bietet der Leadership Trait Assessment-Ansatz, der neben kognitiven Persönlichkeitsvariablen auch Eigenschaften und Motivationen zu erfassen vermag.

Ein großer Verdienst des sozialpsychologisch ausgerichteten Groupthink-Modells ist es, (unbewusste) gruppenpsychologische Prozesse und Zwänge innerhalb von (außenpolitischen) Entscheidungsgruppen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt zu haben. Obschon die Groupthink-Symptome einen überzeugenden Erklärungsfaktor für bestimmte, insbesondere desaströse außenpolitische Entscheidungen bilden, ist die Vernachlässigung von Persönlichkeitsfaktoren bei der Ausprägung eben dieser Symptome zu hinterfragen. Anknüpfungspunkte für eine weitere Spezifizierung des Groupthink-Modells bietet der LTA-Ansatz, mittels dessen sich persönlichkeitsbedingte Implikationen für Informations- und Entscheidungsfindungsprozesse erfassen lassen.

Was emotional wie kognitiv geprägte Akteure mitunter zur Anwendung brutalster Gewaltpraktiken veranlassen mag, lässt sich unter Rückgriff auf das Konzept der Abwehrmechanismen, allen voran die Mechanismen der Dehumanisierung, Deindividualisierung und Depersonalisierung der psychoanalytisch orientierten Forschung wie auch den evolutionsbiologisch bedingten Anpassungsreflex der evolutionspsychologischen Perspektive zumindest ansatzweise verstehen.

Zugleich verweist die Bedeutung von unbewussten Aspekten sowie evolutionsbiologischen Prägungen der menschlichen Psyche auf die Notwendigkeit, die bislang in den Theorien Internationaler Beziehungen dominierenden Konzepte (vermeintlich) sehr reflektierter, über einen hohen Bewusstseinsgrad verfügender Akteure grundsätzlich zu überdenken. Ansatzpunkte hierfür liefert die Konzeptionalisierung des homo psychologicus, wie sie hier unter Nutzbarmachung der politischen Persönlichkeitsforschung und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse vorgelegt wurde.

Darüber hinaus ist angesichts der Bedeutung von Emotionen in der (internationalen) Politik offenkundig, dass die herkömmlichen Theorien Internationaler Beziehungen eines neuen Staatsverständnisses bedürfen. Denn der Staat ist mehr als ein Konglomerat von Institutionen oder bürokratischen Apparaten, also mitnichten „das kälteste aller kalten Ungeheuer“ (Nietzsche, zit. nach Wolf 2012, S. 612), das alle Emotionen verschwinden lässt. Gleichwohl staatliche Strukturen diese modifizieren, sind Staaten letztlich „not gigantic calculating machines; they are hierachically organized groups of emotional people“ (Hymans 2010, S. 462).

Allerdings stoßen diese Erkenntnisse an noch bestehende ontologische Grenzen, die zu überwinden die IB-Forschung bislang nur vereinzelt als Anliegen begriffen hat. Die (neuro)psychologischen Erkenntnisse, wonach Persönlichkeitstypen in Stresssituationen unterschiedliche Reaktionsweisen an den Tag legen (Renshon und Renshon 2008, S. 512–514; Dyson und t’Hart 2013, S. 407–408) oder Emotionen und Kognitionen nicht dichotom, sondern vielmehr in sequentieller Verbundenheit miteinander zu konzeptionalisieren sind (McDermott 2004b; Gross Stein 2008, S. 110–111; Marcus 2013, S. 99–127), sind bislang nicht konsequent in politikwissenschaftliche Akteurs- und Handlungskonzepte sowie Entscheidungsmodelle transferiert worden. Vielmehr werden Emotionen in aller Regel als eine Art „Restvariable“ betrachtet, die Reinhard Wolf (2012, S. 618) zufolge nur im Falle von Forschungslücken oder Restvarianzen in rationalistischen Erklärungsversuchen zum Tragen kommt. Von der fälschlichen Betrachtungsweise von Emotionen als vermeintlich irrationalen Phänomenen abzusehen, mahnte Jonathan Mercer (2005a; 2006) vor geraumer Zeit an. Ein entscheidender Schritt bei dem anzustrebenden Transformationsprozess ontologischer Bewusstwerdung wäre die ernsthafte Bereitschaft, die bestehende wissenschaftliche Praxis des „mit zweierlei Maß Messens“ aufzugeben, gemäß derer sich Emotionsforscher mit der forschungsstrategisch ungünstigen Ausgangslage einer Rechenschaftspflicht- bzw. Beweisführungserwartung seitens des dominierenden rationalistischen Forschungsparadigmas konfrontiert sehen.Footnote 9 Denn die Gefahr, tautologischen Zirkelschlüssen anheim zu fallen, ist mitnichten ein Alleinstellungsmerkmal der Emotionsforschung.

Indes bedürfte die stärkere Nutzbarmachung psychologischer Ansätze wie auch neuropsychologischer Erkenntnisse für die deutsche IB-Forschung einer größeren intra- und interdisziplinären Dialogbereitschaft. Letztere ist insbesondere in Deutschland erst noch im Entstehen begriffen. Infolge der ambivalenten Vorgeschichte war die Politische Psychologie nach 1945 lange Zeit ein Tabu-Thema und fristet letztlich noch immer ein Schattendasein (Prell 2011, S. 487–488). Zwar ist sie seit 1958 im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) in einer eigenen Sektion organisiert und in der DVPW als Arbeitskreis „Politische Psychologie“ vertreten, der eng mit dem Sigmund-Freud-Institut (SFI) in Frankfurt/Main verbunden ist. Doch spiegelt sich die Kluft zwischen den einzelnen Forschungszweigen der Politischen Psychologie in Deutschland schon in der Zusammensetzung des AK wider, in dem sich die psychoanalytisch orientierten Forscherinnen und Forscher beheimatet sehen, wohingegen beispielsweise die kognitionspsychologisch ausgerichteten Kolleginnen und Kollegen u. a. dem AK „Wahlen“ angehören. Darüber hinaus ist bemerkenswert, wie wenig psychologische Konzepte, Ansätze und Modelle, die sich im angelsächsischen Forschungsraum etabliert haben, hierzulande nutzbar gemacht werden. Umso größer ist indes das Weiterentwicklungspotenzial der deutschen IB-Forschung wie auch der anderen politikwissenschaftlichen Teildisziplinen im Bereich der Politischen Psychologie.