Mir ist heut’ blutrünstig zumut’ – da tun zwei Morde richtig gut!

Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk  Staatsoper Hamburg, 12. Mai 2024

Photos © Monika Rittershaus (Photos der Premiere  22.1.2023)

Dmitri Schostakowitsch
Lady Macbeth von Mzensk

(1934)
Oper in vier Akten (neun Bildern)
Libretto von Alexander Preis und Dmitri Schostakowitsch nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai Leskow

Staatsoper Hamburg, 12. Mai 2024


von Harald Nicolas Stazol

„Ich geriet in St. Petersburg in eine Schießerei – die russische Gesellschaft ist einfach eine der Gewalt“, sagt der nette Herr in der Pause am Stehtisch im oberen Foyer zur Pause gerade, offenbar hat er überlebt, da sind in der Schostakowitsch-Oper schon zwei Morde passiert, und merke:

Wenn Du das Missfallen Stalins erregst, schläfst Du im Anzug und mit Koffer unterm Bett, monatelang, weil Du jederzeit abgeholt werden kannst! So geschieht es Dmitri Schostakowitsch, nachdem ein seine bis dahin so erfolgreiche Oper vernichtender Artikel in der „Prawda“ erscheint, und schon ist der Arme auf der Abschussliste…
Warum? Weil er die Lebensverhältnisse der Leibeigenen im Jahr 1860 so eindringlich vor Augen und auf die Bühne führt, den unfassbaren Schrecken und die unaussprechliche Ungerechtigkeit und die unbeschreibliche Grausamkeit dieses Gesellschaftssystems – seltsam zeitgemäß: Den lebenden Besitz, der vor dem ultrastrengen Bojaren und Kaufmann Boris Timofejewitsch unterwürfigst-unterjocht knien wird, „Was steht ihr herum? Los, an die Arbeit!“, was uns sofort zu besonderer Erwähnung des großen Chores, unterschiedlichst gewandet, bringt – doch wir greifen vor!

Hier die Handlung: Lwowna, die Protagonistin, sexuell total frustriert, killt erst den Schwiegervater mit Rattengift, nimmt sich einen Liebhaber, der erwürgt den eifersüchtigen, von langer Geschäftsreise heimkehrenden Gatten, die Hochzeit mit dem Lover wird von der Polizei unterbrochen, weil ein Betrunkener die Leiche findet, was die beiden als Gefangene auf dem Treck nach Sibirien enden lässt, woraufhin sich die Lwowna im eiskalten Fluss voller Eisschollen ertränkt, nicht ohne die neuen Geliebte des Lovers mitzureißen, Vorhang.

Auch an die komplizierten russischen Plots also wird sich der geneigte Leser gewöhnt haben müssen, traurig-tragisch ist das Ganze eben:

Photos der Premiere mit den damaligen Solisten © Monika Rittershaus

Da ist eine äußerst bedauernswerte – und im Morden sich tatsächlich recht eigentlich emanzipierende Frau, die trotz Wohlstandes an der Leere ihres Lebens leidet, und deren langweiliger Ehemann sie in die Verzweiflung treibt, ganz abgesehen vom o.g. Schwiegervater, der sie grausam-konservativ quält. Ach, den Schwiegervater killen, wer hätte nicht schon einmal davon geträumt? Vielleicht ja nicht, wenn er so gut sänge wie Alexander Roslavets! Böser, ganz böser Bass kann ich nur sagen. Er läuft im grünen Morgenmantel umher, kasteit alle, lässt gerne mal Kulaken auspeitschen und will ständig gebratene Pilze essen, was ihm schlussendlich ja zum Verhängnis werden wird (seitdem sehe ich meine Pfifferlinge im Kühlschrank etwas misstrauisch an…).

Photos der Premiere mit den damaligen Solisten © Monika Rittershaus

Unsere Lady Macbeth des Abends heißt Kristīne Opolais, an diese komplizierten Namen und ihre Unübersichtlichkeit muss sich der geschätzte Leser schon mal besser einstellen, man verliert sich wie bei Dostojewski geradezu in ihnen: Sie ist für mich wunderbar besetzt, in Höhen und Juchzen und Klagen wirklich mitreißend, und schön, und auch von sehr ansprechender Gestalt, wenn man es sagen darf, – kein Vergleich zu der Matrone in der Inszenierung in Novosibirsk unter Currentzis jedenfalls – trotz, oder gerade wegen ihrer Verzweiflung.

Ihr erster Auftritt findet im schneeweißen, aufrechtstehenden Ehebett statt (auf eine Ouvertüre hat der Komponist verzichtet) – und man sieht Kent Nagano dazu aus dem Orchestergraben genauestens die Einsätze geben, zwei Stunden lang, was für eine Leistung, pari zum zweieinhalbstündigen Marathon des Staatsorchesters!

Photos der Premiere mit den damaligen Solisten © Monika Rittershaus

Und was für ein Sopran, sich immer zurechtfindend, denn man kann über Dmitri viel sagen, aber kompliziert zu hören sind seine Kompositionen in jedem Falle, in ihrer modern-modernistischen Vielfalt, man denke nur ans 1. Violinkonzert, dessen Einspielung, auch ob seiner Ähnlichkeit mit dem Score gerade, unter David Oistrach nur zu empfehlen ist!

Lassen wir doch einmal Dmitri selbst zu Wort kommen: „Dieses Werk verblüfft den Leser durch ungewöhnliche Klarheit und Ideenreichtum. Im Sinne einer besonders wahrhaften und tragischen Darstellung des Schicksals einer talentierten, klugen und hervorragenden Frau, die zugrunde geht unter den schrecklichen Bedingungen des vorrevolutionären Russlands, steht dieses Werk, nach meiner Meinung, auf einem der ersten Plätze. Maxim Gorki sagte auf seinem Jubiläum: „Man muss lernen. Man muss sein Land erkennen, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Und das Werk Leskows beantwortet, wie nicht besser möglich, diese Forderung Maxim Gorkis. Es ist eine unwahrscheinlich starke Darstellung einer der finsteren Epochen des vorrevolutionären Russlands. Für den Komponisten ist die Lady Macbeth im wahrsten Sinne des Wortes ein Schatz. Klar umrissene Charaktere, dramatische Konflikte – all das zog mich sehr an.“

Photos der Premiere mit den damaligen Solisten © Monika Rittershaus

Mich auch, als ich ins Programm der Staatsoper blicke. Und welch ein Augenschmaus meinem Blicke, ich sprach ja schon vom Bild: Ein recht in Holz gehaltenes Landhaus, hinten in Projektion ein wunderbarer Garten, später des Nachts einige Sternschnuppen, dort rechts ein Riesensafe, das Vermögen des häuslichen Tyrannen symbolisierend, links die Schuppen der Sklaven – wie anders sind sie zu nennen? Dann, in Sibirien, schleppen die verurteilten Kulaken – ich lüge nicht! – ein ganzes, graues, trostloses Schiff in die Szene – aber vor allem die Hochzeit!

Ein ganzer Kirschgarten ist da dekoriert, samt weißer Tischdecke und schniekem Personal, hier kann sich das Auge ausruhen und genießen und schwelgen, eigentlich die ganze Aufführung lang, wirklich Kompliment an die Kreativität der Varvara Timafeeva!

Da sind winzige, ganz entzückende Details, wie die Ikone, die, WUMMS, runterkracht, genau, als der Ehebruch vollzogen wird, dessen orgastischen Höhepunkt man in der Musik deutlich hört, der aber in dieser Inszenierung glücklicherweise recht dezent gehalten ist.

Der beim Bojarentod herbeigerufene und auch die Hochzeit zelebrierende Pope „Bekenne Deine Sünden!“, bzw. „Küsst euch, küsst euch!“, wächst mir besonders ans Herz, auch bei der vielleicht etwas langen Begräbnisszene: Tigran Martirossian – seine Stimme versetzt direkt in die Kathedrale von Kazan!

Ein rachsüchtiger Polizeichef, ganz durchtrieben Karl Huml, ein mordentlarvender Säufer – ganz als Shakespeare’scher Clown von comic relieve, Owen Metsileng, „ich trinke von morgens bis abends“, und ein wirklich ganz eindrucksvoll-sexy-toller Tenor von Sergej als Lover, Pavel Černoch, ach, man kann ja nicht alle erwähnen…

Was bleibt zu sagen? здесь!  Hin da!

Na, zu unser aller Glück, kann ich sagen, obschon sich heute Abend – zu schön ist das Wetter – nur wenige eingefunden haben, was ihrer Begeisterung keinen Abbruch tut.

Harald Nicolas Stazol, 13. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Dmitri Schostakowitsch, Lady Macbeth von Mzensk Wiener Staatsoper, 31. Mai 2023

Daniels vergessene Klassiker Nr 16: Dmitri Schostakowitsch – Violinkonzert Nr. 2 (1967)

CD-Rezension: Schostakowitsch – Doppeltes Spiel. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein klassik-begeistert.de

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