Laufen Läuferin Herz
Die Top-Mittelstreckenläuferin Joselyn Brea und zwei Kollegen beim Training für die Olympischen Spiele in Paris. Können solche Extrembelastungen dem Herzen schaden?
AFP/FEDERICO PARRA

Allzu viel ist ungesund, weiß der Volksmund. Doch gilt das auch für den Ausdauersport? Was heißt allzu viel? Oder ist es womöglich für die spätere Lebenserwartung günstig, eine Top-Radrennfahrerin oder ein Elite-Langstreckenläufer (gewesen) zu sein? Dazu gibt es längst zahlreiche Studien, die zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Neue und zum Teil noch laufende Untersuchungen deuten nun aber recht eindeutig darauf hin, dass die Vorteile eines extrem gut trainierten Herzens überwiegen dürften. Diese Einschätzung der lebensverlängernden Wirkung extremen Trainings ist aber nicht unumstritten.

Lange ging ein nicht geringer Teil der Fachwelt davon aus, dass der Lebensstil von Leistungssportlern, die an Marathons, Ausdauerradrennen oder Triathlons teilnehmen, ihr Herz übermäßig belasten könnten und sie anfällig für einen frühen Tod machen könnte. Solche Einschätzungen wurde unter anderem auch durch eine ältere Untersuchung an deutschen Olympioniken gestützt. Laut dieser Analyse aus dem Jahr 2012 lag die durchschnittliche Lebenserwartung von Olympiateilnehmern der Sportarten Leichtathletik, Radfahren und Schwerathletik in den Jahren 2000 bis 2011 bei nur 70,4 Jahren, verglichen mit 76,2 Jahren in der Gesamtbevölkerung. Bei dieser Gruppe der Topsportler dominierte zudem der Tod durch Herzursachen in 63,5 Prozent der Fälle.

Vermutet wurde von den Forschenden, dass Doping – jedenfalls bei den Athleten in der DDR – eine lebensverkürzende Rolle gespielt haben könnte. Die Lebenserwartung in der Vergleichsgruppe der Ruderer, Kanuten, Schwimmer und Turner betrug dagegen erstaunliche 82,6 Jahre.

Schnell laufen, lange leben

Wie also sieht es aus, wenn man das Doping weglässt? Das geht bei solchen Beobachtungsstudien natürlich nicht so einfach. Womöglich spielte es aber bei einer Athletengruppe eine geringere Rolle, die nun ein kanadisch-australisches Team um den Kardiologen Stephen Foulkes (University of Alberta) unter die Lupe genommen hat: den ersten 200 Personen, die ab den 1950er-Jahren eine Meile in weniger als vier Minuten liefen, was lange als unerreichbar galt. Läufer, die zu so einer Leistung imstande sind, absolvieren die ganze Woche über regelmäßig hochintensive körperliche Aktivitäten und reizen dabei ihr Atmungs-, Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Muskel-Skelett-System bis an die Grenzen aus.

Der Erste, der 1953 diese mythische Schallmauer der Leichtathletik durchbrach, war (Sir) Roger Bannister. Der spätere Mediziner und Neurologe starb 2019 mit fast 89 Jahren. Dass Bannister keine Ausnahme für ein längeres Leben war, zeigen die übrigen Daten, die Foulkes und sein Team für einen Artikel im British Journal of Sports Medicine erhoben haben: Die 200 Top-Läufer lebten im Durchschnitt fast fünf Jahre länger als die Allgemeinbevölkerung derselben Jahrgänge, allerdings mit interessanten Entwicklungen: 2018 hatten Kardiologen im Fachblatt The Lancet noch festgestellt, dass die ersten 20 Läufer, die eine Meile in weniger als vier Minuten liefen, im Durchschnitt zwölf Jahre länger lebten. Und Läufer, die in den 1960er-Jahren eine Meile unter vier Minuten liefen, hatten eine höhere Lebenserwartung als Läufer, die dieses Kunststück erst im folgenden Jahrzehnt schafften.

Konkrete Angaben zu den Todesursachen konnten Foulkes und seine Kollegen in den meisten Fällen nicht machen. Studien über Tour-de-France-Radfahrer (von 2011) und Kohorten von US-Olympioniken (aus 2019) und olympisch erprobten Ruderern (2014) würden laut den Kardiologen aber darauf hindeuten, dass die Auswirkungen auf die Langlebigkeit in erster Linie durch geringere Raten kardiovaskulärer und krebsbedingter Sterblichkeit vermittelt werden. Nicht ganz klar ist aber auch, wie sehr besondere Gene dieser Topathleten eine günstige Rolle spielen: In der Gruppe der 200 Läufer zählten die Forschenden immerhin 20 Geschwisterpaare und mehrere Vater-Sohn-Duos.

Vorhofflimmern als Risiko

Eine weitere, noch laufende Untersuchung verweist bei all den für die Topathleten erfreulichen Ergebnissen auf einen Risikofaktor: Ein nicht geringer Anteil von Ausdauerathleten entwickelt im Laufe ihres späteren Lebens eine störende Herzrhythmusstörung, das sogenannte Vorhofflimmern, das lebensverkürzend ist. Dieses Problem betrifft im Übrigen auch Athletinnen, wie eine im Vorjahr im British Journal of Sports Medicine veröffentlichte Studie zeigt: Sie beziffert dieses Risiko für Ausdauerathletinnen auf das Drei- bis Fünffache gegenüber Nichtsportlerinnen, was in etwa den Werten bei den Männern entspricht, bei denen ein zweieinhalbfach erhöhtes Risiko ermittelt wurde.

Warum bestimmte Athletinnen und Athleten Vorhofflimmern entwickeln, wird seit einigen Jahren in einer großangelegten Studie unter der Leitung des Sportkardiologen André La Gerche (Uni Melbourne) untersucht, wie das Fachblatt Science in seinen News berichtet. Die Untersuchung namens Pro@Heart wurde 2016 in Zusammenarbeit mit Partnern in Australien und Belgien gestartet und umfasst bisher fast 500 Spitzensportler, die bei der Anmeldung zwischen 16 und 23 Jahre alt waren und zu denen unter anderem auch Tour-de-France-Teilnehmer gehören. Die Studie zielt darauf ab, sie mindestens 25 Jahre lang zu begleiten und Veränderungen des Herzens zu verfolgen. Ein separater Studienarm untersucht die Prävalenz und Anfälligkeit für Vorhofflimmern bei 128 ehemaligen Spitzenruderern im Alter zwischen 45 und 80 Jahren.

Bei ihnen tritt das Vorhofflimmern nämlich besonders häufig auf. Warum, das muss noch geklärt werden. Eine Vermutung der Forschenden: Ruderer sind im Schnitt größer als andere Ausdauerathleten – und die Größe ist ein Risikofaktor für Vorhofflimmern. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass Ruderer routinemäßig bis zu 20 oder 30 Stunden pro Woche sehr intensiv trainieren. Und das könnte womöglich dann doch etwas (zu) viel sein. (Klaus Taschwer, 17.5.2024)