Richard Wagner: 2024 noch nicht verboten ... - Sonneberg

Richard Wagner
2024 noch nicht verboten ...

die neun Walküren (K.I. von BING)

Nach einer belastenden Auseinandersetzung mit seiner Frau Cosima wird er nie mehr in die Tasten hauen. Verweigert den anstehenden Valentinstag und lässt sich von den Walküren im 70. Lebensjahr via Herzinfarkt zu all den anderen auf Walhalla versammelten Kapellmeistern bugsieren. Gemeint ist kein anderer als Richard Wagner, dessen 211. Geburtstag man am 22. Mai gedenken kann - wenn man das will - genau einen Tag vor dem Geburtstag des bundesrepublikanischen Grundgesetzes. Er ist noch nicht verboten!

Auf jeden Fall verdanken wir diesem Mann aus Sachsen viele, viele Stunden aufwühlendster Musik und inzwischen auch einige Klingeltöne. Habe man Wagners Musik zwanzig Minuten lang angehört, müssten danach die Fenster für ebenso lange Zeit geöffnet werden, ätzen die Verächter des Komponisten und beschimpfen die opulenten Tonwerke des Bühnenweihestifters zu Bayreuth mit Ausdrücken wie „Drüsenmusik” und noch Schlimmerem. Anderen dagegen geht nichts über Tristanakkord und „O, du mein holder Abendstern” - sie knien nieder vor dem Gesamtkunstwerk neuheidnisch-religiös geframter Festspielidee, was anderen nur Ursache für Hohn und hochmütigen Spott abgibt. Nun - ja und zugleich auch nein: Sicher wird der Mann mit dem sonderbaren Flaumbackenbart auch oft zu Unrecht gescholten. Stichwort Antijudaismus - Wagner lebte in einer Zeit, in der die abwertende Art über das alte Gottesvolk zu denken und zu urteilen sozusagen mit zum guten Ton unter Intellektuellen gehörte und in deren Salons und Konventikeln maßgeblich auch zum Standard gepflegter Unterhaltung beitrug. Vergessen wir jedoch nicht - das Christentum war seinerzeit gerade dabei, sich von sich selbst loszusagen - was damals einer Art Befreiung gleichkommen sollte. Da war es klar, dass die Vordenker dieser Emanzipationsbewegung besonders auch die eigene Wurzel ins Visier nahmen und das verhöhnten, was sie dem Nichtsein hatte entsprießen lassen. Das alles ist ein weites Feld, welches hier nicht betreten bzw. nicht darauf eingegangen werden soll, denn an anderen Stellen ist bereits mehr als genug darüber geschrieben worden. Zur Sicherheit und sozusagen als genereller Disclaimer sei in diesem Zusammenhang ängstlich befangenen Geistern gegenüber zusätzlich noch vermerkt, dass Vorstehendes eine Analyse im Blick auf Vorgänge damaliger Zeiten darstellt - keineswegs aber deren Billigung. 

Wenn man auf die Musik Wagners hört, dann „schaut” man sie auch. Wagners Musik kann man sehen! Das wird wohl jeder bekennen müssen, der sich nur ein bisschen im RING auskennt. An Wagnern kommt man nicht vorbei. Warum sollte man auch vorbei gehen? Er hat jenes Großartige vorbereitet, das wir heute "Filmmusik" nennen, die Orchestrierung ist immer genial und grandios - und doch auch stets Musik für Sonderlinge - eine Art vornehmer Kukltursuicid schwebt als Geist im Raume umher. Solches rührt wohl daher, dass es im weitesten Sinne stets um Erlösung geht oder gehen soll. Erlösung wovon? - Das weiß keiner so recht - zum Schluss heißt es im Parsifal, dass sogar auch der Erlöser erlöst werden müsste, bzw. man von dem Erlösungsgedanken als solchem ganz erlöst werden möchte. Hier genau nun ist der Punkt, auf den wir treten könnten, um Wagners Werk aus den Angeln zu heben. Zugleich ein gefährlicher Punkt. Denn wenn man die Erlösung erlöst - o weh, danach ist man nicht mehr im dogmatisch gesicherten Bereich des Christentums …

Nietzsche - zuerst Wagnerjünger, später Hasser - setzte sich von seinem Idol recht bald ab. Wagners schließlicher Kniefall vor einem kirchlichen Christentume hat der unerbittliche Pastorensohn aus Röcken bei Naumburg dem sächsischen Theatermenschen nicht verzeihen wollen. Zum "Parsifal" ist er nicht hingegangen, hat aber alle seine Freunde und Bekannten hingeschickt und das verworrene Szenario dieser nicht ganz ermüdungsfreien Monstershow besonders seiner Schwester Elisabeth Fördster-Nietzsche vor Betrachtung der Uraufführung genauestens erklärt. Man kann davon ausgehen, dass der am 22.Mai 1813 zu Leipzig geborene musikalische Knabe, über dessen leiblichen Vater nicht alles ganz klar ist - war es wirklich der Polizeikommissar Wagner oder dessen Freund Geier („fast ein Adler” spottet Nietzsche) - schon mit dem Liebesverbot, den Feen, dem fliegenden Holländer, dem Ring sowieso und schlussendlich auch dem Parsifal das unendliche Spielfeld irgendwie verkorkster eigener Religiosität musikalisch bewirtschaftet hat. Sauber geblieben von verunreinigenden Erlösungsphantasien, die in der reinen Musik nichts zu suchen haben, sind eigentlich nur die Meistersinger und der Tannhäuser. Aber von denen wissen wir, dass sie als Opern von manch anderer Seite her beargwöhnt werden, denn sie wurden gerade von solchen Leuten besonders geschätzt, die sich unter der Ägide des für alle Zeiten gebranndmarkten Östereichers aus Braunau in der Weltgeschichte unmöglich gemacht haben.

Kurzum - Richard Wagner? Man darf ihn einfach lieb haben. Vorliegender Artikel kommt zu früh? Auf jeden Fall nicht zu spät! man hat also bis zum 211. Geburtstagsfest noch ein paar Tage Zeit die alten Platten raus zu kramen sich in den Libretti des Rings umzutun. Das braucht schon ein wenig Zeit. Nur Mut! Richard Wagner ist am Anfang politisch zwar ein Linker gewesen. Im Rückblick aber auf jeden Fall ein rechtes Genie - deshalb kann und muss! man ihn kennen und hören! Haus Wahnfried in Bayreuth und der grüne Hügel daselbst sind allemal eine Reise wert. Und die Opern des Mannes, der am 22. Mai vor 211 Jahren zu Leipzig das Licht der Welt erblickte, sollte man schon einmal wenigstens in Kurzversion gehört haben. Der viel zu früh von uns gegangene Stefan Mikisch erklärt uns vieles davon heiter und musikalisch aufschlussreich…

Autor:

Matthias Schollmeyer

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