Hungerstreik am Kanzleramt: Aktivist in Klinik!

„Brauchen keine Märtyrer“

Hungerstreik am Kanzleramt: Aktivist in Klinik!

Der Gesundheitszustand von zwei Männern ist kritisch, ein dritter kam ins Krankenhaus. Die Anliegen der Aktivisten seien richtig, sagt DIW-Abteilungsleiterin Claudia Kemfert. Deren Protestform lehnt sie jedoch ab.

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Die Klimaaktivisten Wolfang Metzeler-Kick (l.), Michael Winter (M.) und Adrian Lack: Sie wollen mit ihrem Hungerstreik aufs Ganze gehen. Die Aufnahme entstand vor einer Woche.
Die Klimaaktivisten Wolfang Metzeler-Kick (l.), Michael Winter (M.) und Adrian Lack: Sie wollen mit ihrem Hungerstreik aufs Ganze gehen. Die Aufnahme entstand vor einer Woche.Cartsen Koall/dpa

Die Lage wird immer bedrohlicher. Nahe dem Kanzleramt in Berlin hungern in einem Camp seit Wochen Aktivisten für eine radikale Klimawende. Zwei von ihnen geht es gesundheitlich immer schlechter, ein dritter brach am Mittwoch zusammen und kam ins Krankenhaus. Doch die Männer wollen weitermachen, gehen aufs Ganze, riskieren ihr Leben. Um eine Katastrophe zu verhindern, hat sich nun eine führende Klimaexpertin eingemischt, fordert mit aller Eindringlichkeit die Aktivisten auf, ihre Aktion zu beenden: „Wir brauchen keine Märtyrer!“

Claudia Kemfert (55) leitet seit 20 Jahren die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zusätzlich lehrt sie als Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Stimme hat Gewicht in der Klimawende-Debatte. Sie verfolgt auch die Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“, die vor knapp zweieinhalb Monaten begann und an der inzwischen fünf Aktivisten teilnehmen.

Klimaexpertin Claudia Kemfert: Sie leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). 
Klimaexpertin Claudia Kemfert: Sie leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Carla Benkö/dpa

Klimaexpertin Claudia Kemfert: DARUM fordert sie das Ende des Hungerstreik-Dramas

Kemfert fordert nun das Ende des Hungerstreik-Dramas. Zwar nehme die Klimakrise tatsächlich immer bedrohlichere Ausmaße an, und es gebe akuten Handlungsbedarf, sagt sie in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Ich verstehe und unterstütze das Anliegen der Hungerstreikenden.“ Doch sei ein Hungerstreik nicht die angemessene Protestform.

„Ich appelliere an die Streikenden, ihre Kraft und Entschlossenheit lieber in andere Protestformen und Aktivitäten zu stecken“, sagt die Klimaexpertin. „Wir brauchen keine Märtyrer, sondern Argumente, Ausdauer und Überzeugungskraft, um demokratische Mehrheiten für eine entschlossene und wirkungsvolle Klimapolitik zu gewinnen.“

Die fünf Männer wollen mit ihrer Aktion Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einer Regierungserklärung zu den Gefahren des Klimawandels zwingen. In dieser soll er Maßnahmen zu einer radikalen Senkung der Treibhausgase bewirken. Scholz will nach Angaben eines Regierungssprechers nicht auf die Forderungen der Aktivisten eingehen.

Wolfgang Metzeler-Kick (49) im Hungerstreik-Camp: Er verweigert seit fast 70 Tagen feste Nahrung. 
Wolfgang Metzeler-Kick (49) im Hungerstreik-Camp: Er verweigert seit fast 70 Tagen feste Nahrung. Sebastian Gollnow/dpa

Hungernder Klimaaktivist ist bereit, notfalls für die Sache zu sterben

Die fünf Männer in dem Camp verzichten bei ihrem Streik auf feste Nahrung, trinken nur Säfte, um so etwas Energie und Vitamine ihren Körpern zuzuführen. Lange ist so etwas nicht durchzuhalten, erklären Experten.

Ein Teilnehmer des Hungerstreiks ist nach Angaben von Unterstützern am Mittwoch zusammengebrochen und in ein Krankenhaus gekommen. Unterstützer hätten einen Rettungswagen gerufen, der den Mann in das nahe Bundeswehrkrankenhaus gebracht habe. Wie die Kampagne „Hungern, bis ihr ehrlich seid“ mitteilte, war die 35 Jahre alte Person namens Tin aber bald wieder bei Bewusstsein und konnte nach wenigen Stunden die Klinik wieder verlassen. Tin sei entschlossen, den Hungerstreik fortzusetzen, sagte ein Sprecher der Kampagne.

Zwei weiteren Teilnehmern des Hungerstreiks soll es sehr schlecht gehen. Ihr Gesundheitszustand sei kritisch, hieß es seitens der Kampagne. Ingenieur Wolfgang Metzeler-Kick (49), der seit fast 70 Tagen am längsten aller Teilnehmer hungert, habe einen grippalen Infekt. Er hatte bereits vor Wochen erklärt, für die Sache notfalls sterben zu wollen.

Schlimmer leidet Michael Winter (61) an den Folgen der Nahrungsverweigerung. Nach fast 30 Tagen Hungerstreik sei sein Körper in so schlechtem Zustand. Winter sei so „untergewichtig“, dass das Ärzteteam des Berliner Camps die medizinische Begleitung nicht mehr verantworten könne und deshalb eingestellt habe. Dennoch will der Mann die Aktion fortsetzen.

Dies Situation sieht Klimaexpertin Kemfert als sehr bedenklich und fragwürdig an. Sie sagt, hier riskierten Menschen „eine Selbstverletzung und im schlimmsten Fall sogar Selbsttötung, die allerhöchstens mediale Aufmerksamkeit erzielt. Dafür gibt es eine Vielzahl von Alternativen“. ■