Wie man Muskeln abhört - Medizinische Fakultät

Wie man Muskeln abhört

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.
V. l. n. r.: Michelle Schepp (MTB-Koordinatorin), PD Dr. Silvia Spörl (ärztliche Leitung MTB), Saskia Schwede (ZPM-Koordinatorin) und Prof. Dr. Florian Haller (Sprecher des ZPM). Foto: Dr. Lars Tögel/Uniklinikum Erlangen

Erlanger Forscher entwickelten neues Verfahren

Die spinale Muskelatrophie oder kurz „SMA“ ist eine furchtbare Krankheit, bei der eine Veränderung im Erbgut bestimmte Nerven degenerieren lässt, die Signale an die Muskulatur senden. Dadurch verschwinden Muskeln, viele Betroffene starben bisher an diesem seltenen Leiden qualvoll. Erst seit wenigen Jahren ermöglichen Gentherapien eine Behandlung, die ein Team um Emmanuel Nedoschill, PD Dr. Ferdinand Knieling und PD Dr. Adrian Regensburger von der Arbeitsgruppe „Translationale Pädiatrie“ der Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle) des Uniklinikums Erlangen jetzt mit einem raffinierten Verfahren hervorragend ergänzt: Kurze Laserblitze erzeugen Schallwellen, die dann Bilder des Muskelgewebes liefern.

„Die Methode ähnelt den schon lange angewendeten Ultraschalluntersuchungen“, erklärt Emmanuel Nedoschill. „In wenigen Minuten liefert sie von außen ein Bild vom Zustand der Muskeln im Körperinneren.“ Ein großer Vorteil dieses Verfahrens: Da dieses optoakustische Bildgebungsverfahren keinen Eingriff in den Körper erfordert und auch keine Kontrastmittel oder Ähnliches geschluckt oder gespritzt werden, machen auch kleine Kinder meist ohne aufwendige Überzeugungsarbeit gerne mit. Das erleichtert nicht nur die medizinische Arbeit, sondern verbessert auch die Situation für die Kinder und ihre Eltern im Klinikalltag.

Stehen die Betroffenen doch oft ohnehin massiv unter Stress: Zwar ist die Ursache nur eine kleine Veränderung an der Stelle des Erbguts, an der die Bauanleitung für ein „SNM“ genanntes Protein steht. Dadurch fällt dieses Protein aus, und bestimmte Nerven degenerieren, die Signale an die Muskelzellen übertragen. Die betroffenen Muskeln verkümmern und verschwinden. Die Folgen dieses Ausfalls können so fatal sein, dass die Zuständigen bereits über eine Einteilung des Krankheitsverlaufs und der Betroffenen diskutieren, die für Laiinnen und Laien einfach furchtbar klingt.

Eine Kategorie sind die „Walkers“, die immerhin aus eigener Kraft noch ein paar Schritte gehen können. Deutlich schlechter geht es den „Sitters“, die ohne Hilfe nur noch sitzen, aber nicht mehr aufstehen können. Am schlimmsten aber trifft es die „Non-Sitters“, die nicht einmal mehr sitzen können. Fallen bei dieser Erkrankung auch noch die Muskeln aus, die fürs Schlucken oder fürs Atmen wichtig sind, wird die Krankheit lebensbedrohlich.

Zum Glück hat nur eines von ungefähr zehntausend Neugeborenen die SNM-Veränderung im Erbgut. Aber das Leid dieser wenigen Betroffenen ist so groß, dass eine Verbesserung der Behandlung wie die nach dem englischen Fachbegriff „optoacoustic imaging“ auch „OAI“ genannte und in der Kinderklinik des Uniklinikums Erlangen erforschte Methode einen wichtigen Durchbruch bedeutet und prompt in der sehr renommierten Fachzeitschrift „Med“ landet.

Möglich werden solche Durchbrüche, weil die überaus anspruchsvolle medizinische Arbeit an der Kinderklinik des Uniklinikums Erlangen inzwischen auch Freiräume für Spitzenforschung bietet. „Früher wurde manchmal überspitzt formuliert, dass man aus den drei Gebieten Arbeit in der Klinik, Forschung und eigene Familie höchstens zwei auswählen könne“, erklärt Emmanuel Nedoschill. Inzwischen aber sorgen die Leitung der Klinik und die beiden Oberärzte Ferdinand Knieling und Adrian Regensburger dafür, dass angehende Fachärztinnen und -ärzte alle drei Bereiche unter einen Hut bringen können.

Emmanuel Nedoschill hat seinen Weg zum Facharzt daher mit einem Jahr begonnen, in dem er mit Drittmitteln nur die OAI-Methode zur Untersuchung des fatalen Muskelschwundes unter die Lupe genommen hat. Danach kommt dann ab Juni 2024 der medizinische Alltag in der Kinderklinik erst einmal ohne Forschung. Später soll möglichst noch eine Zeit folgen, in der Forschung und Klinik in einem noch nicht festgelegten Rhythmus abwechselnd im Zentrum stehen. Wie wichtig diese Verbindung aus Klinik und Forschung sein kann, zeigen jetzt die OAI-Untersuchungen der Arbeitsgruppe Translationale Pädiatrie, die Gentherapien und die Beobachtung der SMA-Krankheit erheblich erleichtern.

Diese erst seit wenigen Jahren angewendeten Behandlungen bringen durchschlagende Erfolge bei der bisher weitgehend unbehandelbaren Krankheit. Selbst bei den extrem schweren Fällen der Non-Sitters verbessert sich das Leiden erheblich. Allerdings lässt sich dieser Erfolg bisher nur sehr aufwendig mit Bewegungstests feststellen, die durchaus einige Tage in Anspruch nehmen können. Das aber könnte die Objektivität der Tests beeinträchtigen. So können einzelne Testpersonen engagierter als andere sein und so die behandelten Kinder vielleicht zu besseren Ergebnissen führen. Auch sind die Kleinen nicht jeden Tag gleich gut drauf und können so die Ergebnisse beeinflussen.

Da bringt das OAI-Verfahren mit seinen kurzen Laserpulsen im nahen infraroten Licht zusätzlich deutlich mehr Objektivität in die Beobachtungen. Diese Lichtblitze erwärmen das betroffene Gewebe, das dadurch Schallwellen aussendet, die nicht nur wichtige Informationen über die unterschiedlichen Strukturen im Körperinneren liefern. Das Bindegewebe besteht zum Beispiel aus Kollagen-Proteinen, die ein anderes Spektrum an Schallwellen zurücksenden als die Muskulatur oder als ein Fettgewebe.

„In den Muskeln identifizieren wir so das Spektrum des Hämoglobins, das in den roten Blutkörperchen Sauerstoff in den Organismus hinein und Kohlendioxid heraus transportiert“, erklärt Emmanuel Nedoschill. Je mehr Muskelzellen vorhanden und je aktiver diese sind, umso mehr Sauerstoff brauchen sie für ihren Job. Sieht der Forscher von der Kinderklinik des Uniklinikums Erlangen also viel Hämoglobin, gibt es im Körper auch größere Muskelmassen. Werden Muskeln dagegen abgebaut und durch Bindegewebe ersetzt, sieht man auf den dreidimensionalen Bildern, wie die Krankheit fortschreit und immer mehr Kollagene auftauchen, die den Schwund der Muskelmassen dokumentieren. So haben Ärztinnen und Ärzte wie Emmanuel Nedoschill ein Instrument in der Hand, das sich ähnlich einfach und rasch wie eine Ultraschallsonde bedienen lässt und eindrucksvolle Bilder von Entstehen und Vergehen von Muskeln und Bindegewebe liefert.

Dieser Blick auf das Hämoglobin zeigt in den Untersuchungen der Erlangener Forschung klar, dass SMA-kranke Kinder erheblich weniger Muskelgewebe als gesunde Kontrollpersonen haben. Nach der lebensrettenden Gentherapie aber steigt der Gehalt an Hämoglobin, die verschwundenen Muskeln werden wieder aufgebaut und die Ultraschallsignale ähneln bald wieder denen aus gesunden Organismen. Die Forschung an der Kinderklinik des Uniklinikums Erlangen stellt damit ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich der verhängnisvolle Muskelschwund und die Therapie dieser Krankheit relativ einfach beobachten lassen.

Quelle: uni | mediendienst | forschung Nr. 49/2024

Link zur Original-Publikation: https://doi.org/10.1016/j.medj.2024.02.010

Weitere Informationen:

Emmanuel Nedoschill
09131 85-33118
emmanuel.nedoschill(at)uk-erlangen.de

Originalbericht