Mitgliederbefragung über Landesvorsitz - Die Berliner SPD sortiert sich neu

Sa 18.05.24 | 09:05 Uhr | Von Jan Menzel
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Symbolbild:Ein Mann hält bei der Übergabe der Wahlbriefe zur SPD-Mitgliederbefragung an die Deutsche Post das Merkblatt zur Briefwahl in der Hand .(Quelle:picture alliance/dpa/B.Pedersen)
Audio: rbb24 Inforadio | 18.05.2024 | Jan Menzel | Bild: picture alliance/dpa/B.Pedersen

Die Berliner SPD steht vor einer Woche der Entscheidungen. Den Anfang macht die Mitgliederbefragung über den Landesvorsitz. Am Dienstag wird eine neue Spitze gewählt. Und danach werden auf dem Parteitag die Karten neu gemischt. Von Jan Menzel

  • Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini gelten als Favoriten-Duo in der Mitgliederbefragung
  • Fraktionsvositzendenwahl auf nächsten Dienstag vorgezogen
  • Antrag auf Bildung einer Arbeitsgruppe zu Geschlechterparität in der SPD liegt Fraktion vor

Man kann es als Siegesgewissheit verbuchen oder einfach nur als gute Umgangsformen. Auf jeden Fall haben Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini schon zu einer kleinen Dankesfeier eingeladen, nachdem alle Stimmen ausgezählt sind. Natürlich "unabhängig vom Ausgang der Stichwahl" – wie es in der Einladung heißt, um ja keinen falschen Eindruck zu erwecken. Das ändert aber nichts daran, dass die Hikel und Böcker-Giannini von vielen in der SPD in der Favoritenrolle gesehen werden.

Sehnsucht nach personellem Neuanfang

48,2 Prozent der Stimmen konnten sie in der ersten Abstimmungsrunde der Mitgliederbefragung über den Landesvorsitz für sich verbuchen. Damit sind sie nur haarscharf an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt. Die beiden Zweitplatzierten, der SPD-Landesvize Kian Niroomand und die ehemalige Chefin der SPD-Frauen Jana Bertels, kamen mit deutlichem Abstand auf 36,1 Prozent. Sie haben bis zuletzt versucht, ihre Anhänger vor allem unter den Parteilinken zu mobilisieren.

Ob das aber für eine Abstimmungs-Endrallye gereicht hat, wird erst feststehen, wenn Franziska Giffey das Ergebnis am Samstagnachmittag im Kurt-Schumacher-Haus, der SPD-Landeszentrale, verkündet. Für Giffey wird es einer der letzten Auftritte in dieser Funktion sein. Die Wirtschaftssenatorin hatte schon am Jahresanfang erklärt, dass sie nicht erneut als Landesvorsitzende kandidiert. Sie hat damit wohl auch ihre Chancen realistisch eingeschätzt. Nach zwei Wahlen mit deprimierenden Ergebnissen und dem Verlust des Roten Rathauses sehnen sich viele in der SPD nach einem personellen Neuanfang.

Salehs Zukunft noch ungewiss

Giffeys Co-Landesvorsitzender Raed Saleh wollte es dagegen noch einmal wissen. Zusammen mit der bis dato eher unbekannten Marzahner Bezirkspolitikerin Luise Lehmann kandidierte er erneut und kassierte in der ersten Runde der Mitgliederbefragung eine herbe Schlappe. Nur 15,7 Prozent der Mitglieder stimmten für Lehmann und ihn.

Dieses Misstrauensvotum wirkt auch jetzt noch nach, wenn es um das zweite, für ihn weit wichtigere Amt geht. Immerhin seit 2011 steht Saleh an der Spitze der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Dort hat er sich mit einigem Geschick immer wieder behauptet und seine Machtposition gesichert. Doch in der Fraktion steht turnusgemäß zur Mitte der Legislaturperiode die Wahl des oder der Vorsitzenden an.

Wahl des Fraktionsvorsitzes vorgezogen

In den letzten Wochen und Monaten wurde auch aus Salehs Umfeld heraus immer wieder versichert, dass die Wahl des Fraktionsvorsitzes erst im Juni und damit nach dem anstehenden Landesparteitag stattfinden soll. Überraschend wurde nun bekannt, dass die Abstimmung auf kommenden Dienstag vorgezogen ist. "Abenteuerlich" sei das, "dramatisch" und ein "starkes Stück", sagen einige Fraktionsmitglieder über dieses Verfahren. Für den Schöneberger Abgeordneten Lars Rauchfuß, der zu den Kritikern des Fraktionschefs zählt, hat das Ganze sogar einen "Beigeschmack von Panik".

Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel, die beiden Anwärter auf den Landesvorsitz der Partei, haben Saleh ebenfalls indirekt kritisiert. Es sei schon die Frage, ob dieses Vorgehen "so clever" sei, sagte Böcker-Giannini. Sie und Martin Hikel hatten sich wiederholt schon aus Gründen der Gleichberechtigung für eine Doppelspitze nicht nur in der Partei, sondern auch in der Fraktion ausgesprochen. Das Credo der beiden ist ohnehin, dass die Berliner SPD einen inhaltlichen und personellen Neuanfang brauche.

Saleh will Arbeitsgruppe zu Geschlechterparität in der Partei

Dass diese Diskussion einen Nerv trifft, haben auch Saleh und sein engster Vertrauter, der parlamentarische Geschäftsführer Torsten Schneider, erkannt. Schneider verfasste einen Antrag, der am gleichen Tag wie die Wahl des Fraktionsvorsitzes beschlossen werden soll. Darin wird die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vorgeschlagen, die sich mit Geschlechterparität in der Fraktion und ausdrücklich auch der Option einer Doppelspitze befassen soll.

Allerdings soll diese Arbeitsgruppe erst im Sommer 2025 Ergebnisse liefern. Der Abgeordnete Mathias Schulz sieht darin ein durchschaubares Manöver und den Versuch, das Thema zu vertagen. Die Doppelspitze sei seiner Ansicht nach "lange in der Partei erprobt" und auch in der Fraktion "überfällig". Deshalb könne darüber auch gleich entscheiden werden. Ein entsprechender Antrag liegt den 34 Abgeordneten der SPD-Fraktion vor.

Sieger-Duo muss auf Parteitag gewählt werden

Ob der eine Mehrheit findet und womöglich sogar eine Abgeordnete mehr oder weniger spontan ihre Bereitschaft zur Kandidatur erklärt, wird auch vom Ausgang der Mitgliederbefragung für den Parteivorsitz abhängen. Je nachdem, ob die beiden Parteilinken Bertels und Niroomand es schaffen oder die beiden Parteirechten Böcker-Giannini und Hikel auch die zweite Abstimmung für sich entscheiden, verschieben sich die Gewichte in der Partei. Das wird auch Loyalitäten in der Fraktion in Frage stellen und den einen und die andere zum Nachdenken bewegen.

Die Abstimmung in der Fraktion wiederum ist ein Vorgeschmack auf das, was die Delegierten auf dem Landesparteitag der SPD am 25. Mai erwartet. Dort muss das Sieger-Duo der Mitgliedervotums noch offiziell gewählt werden. Das gilt zwar als Formsache, denn es wäre kaum vermittelbar und ein Partei-Gau, sollte sich ein Parteitag gegen das Votum der Mitglieder stellen.

SPD tickt auf Parteitagen links

Dennoch wird das Wahlergebnis ein Gradmesser für Geschlossenheit und Rückhalt der neuen Parteivorsitzenden sein. Insbesondere Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel müssen sich darauf einstellen, dass in ihrem Fall nicht zwingend ein Traumergebnis herauskommt. Die Berliner SPD tickt auf Parteitagen traditionell mehrheitlich links. Die Favoriten-Duo vieler Delegierter dürfte daher eher Niroomand/Bertels heißen.

Die erste Machtprobe erwartet die neuen Parteivorsitzenden direkt nach ihrer Wahl. Für die Posten der stellvertretenden Landesvorsitzenden und den neu zu wählenden Landesvorstand gibt es weit mehr Bewerber als Plätze. Hier wird sich zeigen, welche Rolle das unterlegene Bewerber-Duo künftig spielt. Einiges wird auch davon abhängen, wie stark die Position von Raed Saleh ist und wie er und seine Unterstützer sich verhalten. "Das ist wie ein Teller Spaghetti", sagte ein erfahrener Abgeordneter mit Blick auf diese Woche der Entscheidungen in der Berliner SPD: "Alles hängt mit allem zusammen."

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.05.2024, 12:42 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

6 Kommentare

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  1. 5.

    Was aus der SPD geworden ist?
    Se ist zur Karriereristenpartei verkommen und Saleh ist das beste Beispiel. Blickt man zurück auf die letzten zwei Jahrzehnte SPD in Berlin und im Bund, dann sieht man Frauen und Männer an wichtigen Positionen, die nur an der Macht interessiert waren oder noch sind, nicht an der Partei oder an den Wählern. Saleh, Giffey, Wowereit, Böhning... Nahles, Gabriel, Klingbeil... um die Passendsten zu nennen. Die reißen alles runter, und es ist ihnen egal. Was die SPD braucht, sind Politiker*innem, die sich für mehr interessieren als nur für sich. Dann klappt's auch mit dem Wähler.

  2. 4.

    Die rechtsextremen Wähler der von Russland und China gesteuerten AgD möchten also dass die sPD eine Politik nach ihrem "Geschmack" macht?

    Da könnten sie mit den Rechtsaußen Böcker-Giannini und Hikel sogar "Glück" haben. Mit denen verschwindet die sPD endgültig in der Versenkung.

    Nur, was hat der Berliner Landesverband der sPD mit der Asylpolitik der Bundesrepublik oder Dänemarks zu tun? Frederiksen hat die Socialdemokraterne zu einer rechtspopulistischen Partei gemacht.

  3. 3.

    Ein weiterer Linksrutsch der SPD wäre das beste für Berlin.
    Dann landet die SPD bei 10%.
    Allerdings muss man immer auch an die Stadt und an das Land denken.
    Daher wäre es wohl besser, wenn Hikel die SPD übernimmt.
    Trotzdem kommt die SPD für mich aktuell nicht in Frage.
    Erst wenn sie wie in Dänemark eine strikte Asypolitik umsetzt.
    Hoffen wir mal, dass das Ergebnis der Europawahl so schlecht ausfällt, dass man endlich einen Kurswechsel einleitet.

  4. 2.

    Es gehört zur Tragik der Berliner SPD, dass die Delegiertenversammlungen in den Kreisen und damit auch der Landesparteitag links dominiert und damit nicht repräsentativ sind.
    Viele zahlende Mitglieder gehen in die Passivität, weil sie von linken Laut-Sprecher*innen, die ihre Partikularinteressen über die der Partei stellen, niedergeschrieen und verächtlich gemacht werden. Und das innerhalb der Partei! Wer linke oder grüne Politik machen will, für den gibt es bereits Parteien.

  5. 1.

    Wenn dieser Herr Saleh wenigstens einen Rest von Anstand und Rückgrat hätte, würde er von allen aufgaben und Ämtern zurücktreten.

    Was ist bloß aus der einst stolzen und wichtigen SPD geworden....?

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