Keine Demütigung - Lächeln der Kommissionspräsidentin aus Video entfernt

Keine Demütigung

Lächeln der Kommissionspräsidentin aus Video entfernt

16.05.2024, 15:57 (CEST)

Falsche Behauptungen lassen sich besonders gut beweisen, wenn man das Beweisvideo verfälscht. Funktioniert das auch bei einer angeblichen Demütigung der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen?

Ein Video verbreitet in sozialen Netzwerken die Behauptung, die Präsidentin der EU-Kommission sei vor laufenden Fernsehkameras «maximal gedemütigt» worden. Ursula von der Leyen habe «eine riesige Klatsche im Live TV bekommen», heißt es darin. «Und zwar sagten die Politiker aus Dänemark, dass sie von der Leyen bei der nächsten Wahl sofort hochkant rausschmeißen werden. Das war wirklich eine krasse Demütigung für die EU-Chefin.» Bei genauerer Betrachtung sieht die Sache allerdings anders aus.

Bewertung

Ursula von der Leyen wurde bei einer Podiumsdiskussion nicht gedemütigt. Ein Video, das die Demütigung zeigen soll, wurde manipuliert. Auch andere Behauptungen in diesem Video sind falsch.

Fakten

Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet das YouTube-Video mit der Behauptung «Demütigung für Von der Leyen». In dem Video mit einer Länge von siebeneinhalb Minuten werden Ausschnitte aus einer von «Politico» und «Studio Europa» am 29. April 2024 organisierten «Maastricht Debate» mit Kandidaten von acht Parteien für die Europawahl verbreitet. Diese 105 Minuten lange Veranstaltung ist im Netz in voller Länge abrufbar.

Schon die Vorstellung als «EU-Chefin» ist unpräzise, weil es keinen EU-Chef gibt, sondern Von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission nur eine von drei Spitzenvertreterinnen der EU (neben dem Ratspräsidenten und der Parlamentspräsidentin) ist. Auch «die Politiker aus Dänemark» gibt es nicht in der Mehrzahl - in dem Video spielt nur ein einziger dänischer Politiker eine Rolle.

Nur ein dänischer Kandidat kommt zu Wort

In dem YouTube Video wird zunächst (ab 1:24) ein Ausschnitt aus dem Eröffnungsstatement des dänischen EU-Abgeordneten Anders Vistisen bei der Maastricht-Veranstaltung gezeigt. Er sitzt als Abgeordneter der Dänischen Volkspartei (Dansk Folkeparti) im Europaparlament. Dort gehört er der Fraktion «Identität und Demokratie» (ID) an. Andere Mitglieder dieser Fraktion sind etwa das von Jean-Marie Le Pen gegründete französische Rassemblement National (RN) und die deutsche Alternative für Deutschland (AfD).

In diesem Statement sagt Vistisen in englischer Sprache (ab 1:24), Europa sei zu einem «Sumpf» geworden, «in dem ungewählte Bürokraten ihre Vision eines föderalisierten europäischen Superstaates umsetzen». Dies müsse verhindert werden. «Deswegen ist unser Wahlkampfversprechen, dass wir damit beginnen werden, 10 000 Bürokraten in Brüssel zu feuern. Und ich möchte mit Ihnen, Ursula von der Leyen beginnen.»

Von der Leyen reagiert gefasst und lächelt

In dem Video wird behauptet, Von der Leyen sei «sofort das Gesicht entgleist»: «Das war wirklich ein Bild für die Götter.» Tatsächlich ist auch in einer Wiederholung dieser Szene (2:13) zu sehen, dass von der Leyen, die neben Vistisen an einem Pult steht, sich diesem zuwendet, lacht und beide Arme leicht anhebt zu einer scherzhaften Geste, als wolle sie sagen: Da kann ich ja wohl nichts machen.

Von der Leyen wirkt auch nicht gedemütigt, sondern eher gefasst und belustigt, als Vistisen fortfährt, von der Leyen sei für Millionen illegaler Einwanderer verantwortlich. «Und Sie stehen im Mittelpunkt einer Ermittlung der europäischen Staatsanwaltschaft.» Zudem habe kein Europäer sie wählen können, weder beim ersten Mal noch jetzt. «Das ist einer europäischen Demokratie nicht würdig. Und deshalb, wenn es an unserer Fraktion Identität und Demokratie wäre zu entscheiden, dann wären Sie die erste, die nach den Wahlen gefeuert wird.»

Video zeigt nur einen Ausschnitt des Originals

Die eher gelassene bis belustigte Reaktion Von der Leyens ist allerdings in dem YouTube-Video des Facebook-Beitrags nicht wirklich zu sehen, weil das Video von Anfang an nur einen Ausschnitt des Bildes aus dem Originalvideo zeigt. Das ist deutlich erkennbar ganz zu Beginn des ersten Ausschnitts, wo der eingeblendete Name Vistisens nur unvollständig zu lesen ist. Es ist auch erkennbar an dem anderen Format und der schlechteren Bildqualität des Videos.

Sehr deutlich wird es beim Vergleich zwischen den beiden Videosequenzen, die im Original bei 15:16 und in dem Facebook-Beitrag bei 4:08 beginnen. Im Original ist Von der Leyen mit im Bild, im YouTube-Video bei Facebook ist von ihr wegen des dort gewählten Ausschnitts nichts mehr zu sehen.

EU-Abgeordnete wählten Von der Leyen ins Amt

In dem YouTube-Video wird von dem deutschen Sprecher behauptet, der dänische Politiker habe «hundertprozentig recht»: «Frau von der Leyen ist eben nicht demokratisch gewählt.» Diese Behauptung ist falsch. Tatsächlich wurde sie am 16. Juli 2019 von den Abgeordneten des Europaparlamentes mit 383 von insgesamt 733 abgegebenen Stimmen zur Kommissionspräsidentin gewählt.

Die Tatsache, dass sie nicht direkt von den Bürgern gewählt wurde, sondern dass eine Mehrheit der direkt gewählten Abgeordneten sie wählte, bedeutet nicht, dass ihr die demokratische Legitimation fehlt. Der deutsche Bundeskanzler wird ebenso wenig vom Volk direkt gewählt wie die allermeisten seiner Amtskollegen in Europa oder die Ministerpräsidenten der deutschen Länder.

Zutreffend ist lediglich, dass Von der Leyen bei der Europawahl 2019 nicht kandidierte, sondern aufgrund einer Einigung zwischen den Regierungschefs der EU-Staaten und dem Europaparlament als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen wurde. Dies entspricht dem EU-Vertrag, der von den Abgeordneten aller nationalen Parlamente ratifiziert wurde. Bei der Wahl 2024 ist Von der Leyen durchaus wählbar als die erklärte Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP), zu deren Fraktion die deutschen CDU-Abgeordneten gehören.

EU-Beschäftigte haben vielfältige Aufgaben

Das Video gibt die Zahl der bei der EU-Kommission (nicht nur in Brüssel) beschäftigten Mitarbeiter mit 32 000 in etwa korrekt an. «Warum in Gottes Namen arbeiten 32 000 Mitarbeiter bei der EU-Kommission? Wozu braucht man so viele Menschen, wenn ja jedes eigene Land seine eigenen Politiker und Beamten hat?», fragt der Sprecher. Und er kommt zu dem Schluss: «Die EU ist wirklich ein einziger Moloch und von Korruption durch und durch durchzogen.»

Die Mitarbeiter der EU-Kommission, von denen einige nur befristet und projektbezogen arbeiten, sind laut EU Vertrag sowohl für die Kontrolle der Einhaltung der EU-Verträge als auch für die Entwicklung von Initiativen und Gesetzesvorschlägen in einer Union von knapp 450 Millionen Menschen zuständig.

Zum Vergleich: In Deutschland arbeiten für rund 84 Millionen Bürger etwa 1,7 Millionen Beamte. Die Stadt München mit 1,5 Millionen Einwohnern beschäftigt 11 000 Beamte und weitere 27 500 Angestellte. Die Stadt Berlin mit 3,6 Millionen Einwohnern zählt 63 000 Beamte, also fast das Doppelte der EU-Kommission. Diese Zahlen sind nur bedingt miteinander vergleichbar, weil beispielsweise bei den EU-Behörden eine hohe Zahl von beamteten Lehrern oder Polizisten entfällt - aber die Behauptung, die EU sei «ein einziger Moloch», steht zumindest auf sehr wackeligen Beinen.

Behauptung zur Korruption nicht belegt

Die Behauptung, von der Leyen sei «die mit Abstand korrupteste Politikerin in der ganzen EU», ist nicht durch Fakten belegt. Es trifft zu, dass die Europäische Staatsanwaltschaft am 14. Oktober 2022 bestätigt hat, dass sie wegen der Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union ermittele.

Die Webseite «Politico» berichtete im April 2024, die EU-Staatsanwaltschaft ermittle aufgrund einer in Lüttich (Belgien) eingegangenen Anzeige gegen Von der Leyen wegen der unter anderem per SMS geführten Kaufverhandlungen zwischen der Kommissionspräsidentin und dem Chef des Impfstoffherstellers Pfizer. Die Kommissionschefin ist vor allem wegen der Löschung ihrer SMS in der Öffentlichkeit kritisiert worden. Bisher gibt es noch keine Informationen über das Ergebnis der Ermittlungen.

(Stand: 16.05.2024)

Links

Facebook Post, archiviert

YouTube-Video, archiviert

Originalvideo Maastricht Debate, archiviert

Anders Vistisen, archiviert

Ergebnis Wahl von der Leyen, archiviert

EU-Vertrag zu Wahl des Kommissionspräsidenten , archiviert

Mitarbeiter EU-Kommission, archiviert

Beamte Deutschland, archiviert

Beamte München, archiviert

Beamte Berlin, archiviert

Europäische Staatsanwaltschaft, archiviert

Bericht Politico, archiviert

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