Faktenfrei und voller Widersprüche: Blau-braune Giftrezepte von Alice Weidel - FOCUS online
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Kolumne von Susan Arndt: Faktenfrei und voller Widersprüche: Die blau-braunen Giftrezepte der Alice Weidel
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Kolumnistin Arndt und AfD-Chefin Weidel
picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod Kolumnistin Arndt und AfD-Chefin Weidel
  • FOCUS-online-Kolumnistin

Wer sich ihre Reden anhört und ihre Bücher liest, bekommt ein gutes Gefühl für das Weltbild von AfD-Chefin Alice Weidel. Es ist voller Wut, rassistisch und voller Widersprüche, meint unsere Kolumnistin.

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Alice Weidel ist aus mehreren Gründen die wohl schillerndste Vertreterin der AfD. Seit 2017 fungiert sie als Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion und seit 2022 auch als Bundessprecherin ihrer Partei. Sie ragt schon allein deshalb hervor, weil in dieser Männerpartei Frauen an sich kaum vorkommen und noch weniger zu sagen haben. Weidel ist freilich keine Quotenfrau – die Partei lehnt so etwas entschieden ab.

Doch Weidel sticht die Männer aus. Während einige Spitzenpolitiker wie Björn Höcke Selbstbewusstsein, rhetorische Eleganz und politisches Wissen nur vorspielen können, verfügt die promovierte Volkswirtin über all dies überdurchschnittlich stark. Das erklärt wohl, warum sie sich in dieser Partei (noch) so gut hält, obwohl sie dem reaktionären Frauen-Männer-Familienbild nicht entspricht – auch wenn Weidel ihre lesbische Ehe so heteronormativ wie möglich erscheinen lassen will: Sie sei (einfach nur), so Weidel im Sommerinterview 2023, „mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne. Wir haben 2 gemeinsame Kinder.“

Alice Weidel und ihre Ehefrau aus Sri Lanka

Dabei drängt sich aber die Frage auf, wie Weidel es mit dem völkischen Rassismus ihrer Partei vereinbaren kann, dass ihre Frau in Sri Lanka geboren wurde und auch ihre Kinder People of Color sind. Deswegen ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken, dass Weidel einfach nur ein Trojanisches Pferd sei. Immerhin hat sie ja etwa bei der Auftaktveranstaltung zum Wahlkampf zur Europawahl am 28. April 2024 gesagt, dass diese in einer „dunklen Halle“ stattfände. Aber ich mache mich nicht gut als Verschwörungstheoretikerin. Also halte ich mich an Fakten. Denn natürlich stand dieser AfD-Auftakt im Schatten der Vorwürfe gegen die Listenersten Maximilian Krah und Petr Bystron, sich von Russland und China korrumpieren zu lassen. Das schlug Alice Weidel dunkel auf die Stimmung. 

Über Susan Arndt

Susan Arndt ist Professorin für Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth. Nach einem Studium der Germanistik, Anglistik und Afrika-Literaturwissenschaft in Berlin und London promovierte sie zu Feminismus in der nigerianischen Literatur und Oratur.

In ihrem neuen Buch „Ich bin ostdeutsch und gegen die AfD – Eine Intervention“ gibt sie der oft übersehenen Mehrheit an Ostdeutschen, die nicht die AfD wählen, eine Stimme.

Um zu verstehen, was sie an die AfD bindet, las ich auch Weidels 2019 erschienenes Buch „Widerworte. Gedanken über Deutschland“. Hier spricht sie offen von Wut als Motor ihrer politischen Ambitionen. Das griff sie auch in der Wahlkampfrede auf: „Was glauben Sie, was ich für einen Hals habe. Ich bin typische Wutbürgerin. Deswegen bin ich in die Politik gegangen“. Doch wohin, frage ich mich, führt „Wut“ als Grundlage politischer Arbeit?  Nicht weit. Weidels 15-minütige Parteitagsrede bezeugt dies.

AfD-Chefin Weidel und die Wut auf die Demokratie

Denn anstatt die Zeit zu nutzen, um AfD-Ziele für Europa zu diskutieren, wirft Weidel mit hochtrabenden Schachtelsätzen um sich, die sie kaum mal treffsicher zu Ende führt. (Das erwähne ich hier nur, weil sie in dieser Rede Versprecher von Annalena Baerbock nutzt, um ihr als Außenministerin jede Kompetenz abzusprechen.) Das Einzige, was von Weidels Rede wirklich bei mir ankommt, ist ihre Wut auf alle Politik, die nicht von der AfD kommt. Gezielt vergreift sie sich im Ton. Regierende Politiker und Politikerinnen seien „kranke Leute“, die „achtkantig vom Hof gejagt“ gehören. Diese „Ideologen … dürften dieses Land nicht regieren.“ Denn: „Die würden in einem normalen mittelständischen Unternehmen nicht mal mit der Kneifzange angefasst, nicht mal mit der Kneifzange.“ 

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So aufgebracht, nennt sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) herablassend „Karlchen Chaos“. Dann verstellt sie ihre Stimme und Mimik, um ihn nachzuäffen. Die nasale und hoch kichernde Intonation kommt antisemitischen Verbrämung von Jiddisch nahe. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl, die seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist, droht sie gar mit einer Todesmetapher: „Wissen Sie, was ich unter Verantwortung dieser Frau verstehe? Indem sie, wenn sie es selbst will, sich selbst auf eine Taurus-Rakete draufsetzt und da (Weidel meint die Ukraine) hingeschossen wird.“

Dieser Hass gegen demokratisch gewählte Politiker und Politikerinnen gehört auch zum Grundsound ihres Buches. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dieses bringe „rechte Politik“ gegen „linke“ in Stellung. Das wäre insofern legitim, als Rechte und Linke, folgt man Karl R. Popper, zum demokratischen Spektrum einer offenen Gesellschaft gehören.

Es fehlen Fakten und Beweisführungen für Weidels Politikanalyse

Die AfD hat allerdings das Problem, dass es bereits etablierte rechte Volksparteien wie die CDU/CSU gibt – und sich die AfD proaktiv rechts von diesen Parteien verortet. Da dies in großen Teilen auf Rechtsextremismus hinausläuft, fährt die AfD den Kurs, die CDU „zerstören“ und sie kurzerhand zu Linken erklären zu wollen. Weidel etwa wirft der CDU vor, zu einem sozialdemokratischen Projekt zu verkommen. Im Dominoeffekt muss sie auch die Parteien der Mitte nach links verschieben.

Entsprechend erfindet Weidel die SPD als sozialistisch, quasi kommunistisch. Hier stünden auch die Grünen, die sie Feinde der deutschen Nation schimpft. Das ist politisch nicht ungeschickt, intellektuell jedoch lächerlich und inhaltlich haltlos.  Freiheit und Demokratie würden hierzulande abgeschafft, schreibt Weidel in ihrem Buch. Dass drei Viertel der Deutschen kein Vertrauen mehr in den Staat und seine Institutionen wie Kirche, Gewerkschaften oder Medien hätten, sagt sie in ihrer Rede: „Ja wie denn auch? Solche üppig gepäppelten Staatssender, die wirklich nur der Regierung nach dem Mund reden. Keine kritische Berichterstattung.“ 

So wie dieser elliptische Satz Verben einspart, fehlen Fakten und Beweisführungen für Weidels Politikanalyse: Deutschland sei ein sozialistischer, antikapitalistischer und antibürgerlicher Staat. Der Staat bereichere sich am Eigentum der Menschen und belüge sie. Die Covid-Schutzimpfungen hätten nichts gebracht, als Menschen krank zu machen (als hätten diese nicht die Pandemie besiegt), Atomkraftwerke abzuschalten, sei absurd (weil es gar keine Klimakrise gäbe) und der Krieg in der Ukraine sei ein deutsches Pläsierchen (und nicht etwa Putins imperialer Aggression geschuldet): „Wenn die Leute wie Strack-Zimmermann und Frau Baerbock und der Kanzler und Herr Habeck und wie sie alle heißen, in ihrer geballten Kompetenz, Claudia Roth (Gelächter), wenn diese Leute den Krieg in der Ukraine wollen“, sagt sie in ihrer Rede in einem weiteren unfertigen Satz, „uns mit Waffenlieferungen damit zu belasten, Soldaten zu schicken, dann sollen sie bitte selbst gehen (tobender Applaus!) und ihre Söhne schicken! (tobender Applaus!)“ 

„Das Land endlich wieder von dem Kopf auf die Füße stellen“

Am meisten aber seien Migranten Schuld an allem, was in Deutschland falsch laufe. Es gäbe eine „komplett ungesteuerte illegale massenweise Einwanderung“. Nur einen Satz von ihr später sitzen diese vermeintlich hereinströmenden Massen bereits in Deutschlands Schulklassen – obwohl eben dies Menschen ohne Aufenthaltstitel nicht möglich wäre. Dennoch kommt sie von hier zur Schlussfolgerung, dass sich die deutsche Nation durch die „fortschreitende Islamisierung“ abschaffe.

Letztlich unterscheidet Weidel weder zwischen Muslimen und Musliminnen und anderen People of Color – noch zwischen Menschen, die hier schon immer oder auf Visumsbasis leben, politisch Schutzsuchenden oder flüchtenden Menschen. Ihre Behauptung, dass die Regierung eine Politik „gegen die eigenen nationalen Interessen, gegen die eigene Bevölkerung“ mache, setzt die Bevölkerung Deutschlands mit völkisch weißen Deutschen gleich. 

Ohne sich in ihrer Wahlkampfrede zu den politischen Zielen der AfD in Europa zu äußern, schlussfolgert Weidel am Ende der Rede steil. „Was glauben sie, was passieren würden, wenn dieses … Land von der AfD geführt werden würde. Der Spuk wäre von einer Sekunde auf die andere vorbei. Nicht wahr … Das ist doch ekelerregend. Diese kranken Leute. Damit muss endlich Schluss sein. Der Anfang ist gemacht. Wählt die Alternative für Deutschland. Damit wir dieses Land, damit wir Europa, endlich wieder von dem Kopf auf die Füße stellen können.“ 

So funktioniert die AfD. Chaos, das es nicht gibt, erfinden und alles auf den Kopf stellen. Dann behaupten, dass das Chaos nicht reparabel sei – nur um dann ein blaues Giftrezept aus dem Ärmel zu zaubern. 

Was das im Detail bedeuten soll, lässt sich in Weidels Buch etwa nachlesen. Neben der AfD-Devise „Grenzen schließen“ (also „Migranten“ deportieren) könne der Austritt aus der EU sowie die Wiedereinführung der D-Mark alle Probleme wie im Selbstlauf lösen. Und der ‚übermächtige Staat‘ müsse überwunden werden. Dies legt zwar nahe, dass sie einen schlanken, unsichtbaren Staat schaffen wolle.

Weidel setzt auf einen Polizeistaat

Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall. In Übereinstimmung mit ihren Parteifreunden und Parteifreundinnen setzt sie auf einen noch mächtigeren, stärkeren Staat – einen Polizeistaat. Denn so viele ‚Fremdkörper‘ vertreiben und Feinde und Feindinnen der AfD in Schach halten zu wollen, setzt diesen unmittelbar voraus.  Weidel beruft sich immer wieder darauf, dem Recht wieder Geltung verschaffen zu wollen.

Gleichzeitig wettert sie gegen den Parteienstaat, den sie überwinden will, und gegen all jene, die ihrem Gesellschafts- und Staatsprojekt entgegenstehen. Dabei sollte Weidel doch wissen, worin die Stärke unseres Grundgesetzes, das in diesen Tagen 75 Jahre alt wird, liegt: Repräsentative Demokratie ist für alle da, die sich die „offene Gesellschaft“ im Sinne Poppers teilen und gemeinschaftlich gestalten. Freiheit ist kein Privileg Einzelner, sondern ein vom Grundgesetz garantiertes Recht, das allen zugänglich sein muss.

Wer, wie Weidel, an diesen Grundsätzen des Grundgesetzes rütteln will, strebt nichts Geringeres an als die Abschaffung des Grundgesetzes und die Überwindung der repräsentativen Demokratie. In ihrem Buch bietet Weidel übrigens eine Antwort darauf an, wie mit solchen Feinden des Grundgesetzes – siehe auch Artikel Art. 20, Abs. 4 – umgegangen werden sollte: „Kein Staat kann billigerweise gezwungen werden, seine Feinde auch noch aus öffentlichen Mitteln zu alimentieren.“ Nur, dass sie vergisst zu erwähnen, dass sie selbst eben diese Feindin des Grundgesetzes ist.

Demokratie in Deutschland bedroht durch die AfD

Denn Weidel strebt nicht danach, die Demokratie vom Kopf auf die Füße zu stellen. Genau im Gegenteil, grätscht sie ihr in die Beine, um sie in den blaubraunen Matsch zu kicken. Das Schüren von Hass gegen Migranten und gegen etablierte Volksparteien läuft auf die Errichtung eines autokratischen Staates hinaus, der auf völkischen Rassismus setzt und dazu faschistische Strukturen aufbaut.  

Ich sage es ganz offen: Seit 1945 war die Demokratie in Deutschland nie so bedroht wie jetzt durch die AfD. Nicht jede Partei, die demokratisch wählbar ist, ist deswegen auch demokratisch. Die AfD ist es definitiv nicht. Wer demokratisch gewählte Politiker und Politikerinnen derart gewaltvoll verhöhnt, liefert die Brandsätze, die physische Gewalt gegen Andersdenkende einfordert. Wer rassistische Hetze betreibt, baut die Nagelbomben und Gewehrkugeln, die Schwarze, Juden und People of Colour tagtäglich bedrohen.

Auch wenn ich dem Vernunftbegriff der Aufklärung kritisch gegenüberstehe – denn er grenzt alle People of Color und alle Frauen aus – so bin ich doch davon überzeugt, dass Wut ein gefährlicher Kompass beim Steuern eines Landes ist. Dieser Kurs droht nicht nur die AfD-Wahlkampfkampagnen, sondern unser ganzes Land in einen „dunklen Raum“ zu sperren. Denn ein Land, in dem nicht alle Menschen sicher sind, ist ein gefährliches Land – für alle.

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