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75 Jahre Grundgesetz Was sich seit 1949 geändert hat

Jasmin Nimmrich

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt als eine der am häufigsten veränderten Verfassungen der Welt. 1949 verabschiedet, wurde es in den vergangenen 75 Jahren an wandelnde Zeiten angepasst. Was hat sich wann an unserer Verfassung verändert?

Ein altes aufgeschlagenes Buch. Auf der sichtbaren Seite ist ein kurzer Text und drei Unterschriften zu sehen. Im Hintergrund sieht man unscharf eine Hand, die das Buch aufgeklappt hält.

Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 von dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates Konrad Adenauer (CDU) und seinen beiden Vizepräsidenten Adolph Schönfelder (SPD) und Hermann Schäfer (FDP) unterschrieben. © DBT / Sylvia Bohn

Die Ansprüche an eine Verfassung sind hoch. Sie soll in der Regel unter anderem grundlegende Menschenrechte definieren, bestimmen, wie der Staat aufgebaut ist, welche Institutionen er braucht und wie Wahlen ablaufen sollen. Außerdem definiert sie ein Wertesystem, das als Grundsatz für die politische Entscheidungsfindung gelten soll. Als der Parlamentarische Rat 1948 seine Beratungen aufnahm, waren die Ziele damit klar. Das Grundgesetz, das der Parlamentarische Rat dann 1949 präsentierte, bestand aus einer Präambel – dem Vorwort – und 146 Artikeln. Heute hat das Grundgesetz insgesamt 202 Artikel, endet aber immer noch mit Artikel 146. Im Verfassungstext wurde gestrichen, er wurde ergänzt und im Deutschen Bundestag wurde darüber debattiert.

Wie kann das Grundgesetz geändert werden?

Die Voraussetzungen für eine Änderung des Grundgesetzes werden in Artikel 79 festgeschrieben. Demnach kann eine Grundgesetzänderung nur dann erfolgen, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages sowie zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder des Bundesrates dieser zustimmen. So soll gleichermaßen eine rechtliche Stabilität als auch eine Möglichkeit zum Wandel sichergestellt werden.  

Das Grundgesetz umfasst auch unantastbare Artikel. Dies schreibt die sogenannte Ewigkeitsklausel vor, die in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Darin heißt es: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Dies war eine Reaktion auf die unzureichende Gewaltenteilung in der Verfassung der Weimarer Republik.

Die Grundgesetzänderungen im Laufe der Zeit 

1956 – Wiedereinführung der Wehrpflicht und der Bundeswehr

Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, Verteidigungsminister Theodor Blank und die Generäle Speidel, Heusinger und Lägeler statteten der Lehrtruppe des Herres, der Luftwaffe und Marine am 20. Januar 1956 einen ersten offiziellen Besuch ab. © picture-alliance / dpa | Rohwedder

Bis 1956 regelte das Grundgesetz lediglich die juristischen Umstände bei einer Kriegsdienstverweigerung. Mit den Pariser Verträgen und dem Eintritt in das Verteidigungsbündnis NATO im Jahr 1955 war die Bundesrepublik jedoch verpflichtet, mit einer nationalen Armee zur Bündnisverteidigung beizutragen. Damit wurde der Aufbau der Deutschen Bundeswehr nötig. Am 21. Juli 1956 wurde das Wehrpflichtgesetz im Bundestag beschlossen und verpflichtete von da an alle Männer zwischen 18 und 45 Jahren (im Verteidigungsfall bis zum 60. Lebensjahr) einen Dienst an der Waffe zu leisten. Wer keinen Dienst innerhalb der Bundeswehr leisten wollte, hatte die Möglichkeit, einen Zivildienst zu absolvieren. Die Grundgesetzänderung ging mit 16 Einzeländerungen (sieben Artikel geändert und neun neu eingeführt) einher. 2011 wurde das Wehrpflichtgesetz ausgesetzt, ohne dass eine Änderung des Grundgesetzes nötig wurde, denn dieses schreibt in Artikel 12a lediglich vor, dass Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an lediglich zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden „können“. Die Aussetzung hatte zur Folge, dass die Deutsche Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee wurde. 

1968 – Die Notstandsgesetze

Am 29. Mai 1968, dem Vortag der dritten Lesung der Notstandsgesetze im Bonner Bundestag, demonstrierten in München tausende Studenten, Schüler, Arbeiter und Angestellte gegen die geplante Gesetzesänderung. © picture alliance / dpa | Klaus Heirler

Den sogenannten Notstandsgesetzen ging ein knapp zehnjähriger parlamentarischer Streit voraus. Dieser drehte sich um die Frage, inwieweit der Staat die bürgerlichen Grundrechte, bei internen oder externen Krisensituationen, einschränken dürfe, um weiter handlungsfähig zu bleiben. Für die extrem umstrittene Umsetzung der Gesetzesvorlage brauchte es 29 Einzeländerungen am Grundgesetz, die durch die Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD möglich wurden. Am 30. Mai 1968 kam es dann zur dritten Lesung und zur namentlichen Abstimmung über die Notstandsgesetze. Nur einen Monat zuvor hatte der Schuss eines Rechtsextremisten auf den Studentenführer Rudi Dutschke zu zunehmenden Eskalationen zwischen Bürgerinnen und Bürgern mit der Staatsmacht gesorgt. Die lautesten parlamentarischen Proteste gegen die Gesetzesänderungen kamen von der FDP, die sich insbesondere gegen die im Gesetz enthaltenen Post- und Telefonkontrollen von Verdächtigen aussprach. Heute regeln die Notstandsgesetze unter anderem das Zusammentreten eines „Notparlaments“ als Ersatz für Bundestag und Bundesrat, sollte es zu einem innen- oder außenpolitischen Notstand kommen. Angewendet werden mussten die Gesetze bisher nicht. 

1971 – Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre

Zur Bundestagswahl 1972 war es 18- bis 20-Jährigen erstmals erlaubt zu wählen. Ein Symbolbild aus Frankfurt am Main auf Bänken, wo Jung und Alt vor der anstehenden Bundestagswahl nebeneinander sitzen. © picture-alliance/ dpa | Manfred Rehm

Der Deutsche Bundestag beschloss am 18. Juni 1970 das allgemeine Wahlalter von 21 auf 18 Jahre abzusenken. Im gleichen Zuge wurde auch das passive Wahlalter, also das Alter, ab dem man selbst als Abgeordnete oder Abgeordneter für den Bundestag kandidieren darf, von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Forderungen nach einer Senkung des Wahlalters wurden bereits in den 1960er-Jahren laut, denn viele erhofften sich eine Besserung der politischen Verhältnisse durch die Teilhabe der Jugendlichen der Studentenproteste. Die Probleme, die die Menschen beschäftigten, waren unter anderem der Vietnamkrieg, die verabschiedeten Notstandsgesetze und die mangelnde Aufarbeitung der NS-Verbrechen. 1969 kündigte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die Vorlage eines neuen Wahlgesetzes durch die Bundesregierung aus SPD und FDP an. Pünktlich zur Bundestagswahl 1972 wurde das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt

1992 – Das Europäische Recht  

Deutschland gehört zu Europa und Europa gehört zu Deutschland. Seit 1992 ist dies auch im Grundgesetz festgeschrieben. © Simone M. Neumann

Welchen Einfluss die Europäische Union auf die Bundesrepublik Deutschland hat, ist in Artikel 23 des Grundgesetzes festgelegt. So definiert dieser die Verwirklichung eines vereinten Europas als deutsches Staatsziel und erteilt den Verfassungsauftrag, bei der Entwicklung Europas anhand festgelegter Grundsätze mitzuwirken. 

1992 – Asylgrundrecht 

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU/CSU) gibt zusammen mit anderen Abgeordneten am 26. Mai 1993 seine Stimme zur Änderung des Grundgesetzartikels 16 ab. 521 Abgeordnete stimmten für die Verschärfung des Asylrechtes, dagegen stimmten 132. © picture-alliance / dpa | Martin Gerten

Das am 6. Dezember 1992 durch die Große Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU/CSU) beschlossene Asylverfahrensgesetz, das 2015 in Asylgrundrecht umbenannt wurde, beschränkt die Möglichkeiten, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Vor der Änderung von Artikel 16 lautete dieser: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Heute ist Artikel 16a deutlich detaillierter und bemächtigt die Bundesrepublik unter anderem dazu, „sichere Drittstaaten“ zu definieren, deren Staatsbürger sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen dürfen. Die politischen Forderungen nach einer Verschärfung von Artikel 16 wurden in den 1990er Jahren, aufgrund der steigenden Anzahl von Geflüchteten lauter. 

2006 – Föderalismusreform I

Am 30. Juni 2006 stimmten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit ihren Stimmkärtchen über die Föderalismusreform ab. © picture-alliance/ dpa | Steffen Kugler

Die Föderalismusreform, mit der die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern neu definiert wurde, gilt als die größte Staatsreform seit 1949. Am 30. Juni 2006 stimmte der Bundestag den Reformvorschlägen der regierenden Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD zu. Nach der Zustimmung des Bundesrates eine Woche später traten die Änderungen zum 1. September 2006 in Kraft. Ganze 25 Neuerungen am Grundgesetz wurden beschlossen. Hauptziel der Reform war es, die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern neu aufzuteilen. So bedarf es seitdem bei deutlich weniger Gesetzen der Zustimmung des Bundesrates. Im Tausch gegen diesen Verlust an Gesetzgebungskompetenz erhielten die Länder die ausschließliche Kompetenz über die Gesetzgebung unter anderem im Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht der Landes- und Kommunalbeamten, für das Strafvollzugsrecht und für das Ladenschluss- und Gaststättenrecht. Ebenfalls Teil der Föderalismusreform I war ein sogenanntes Abweichungsrecht, das es den Ländern ermöglicht, eigene, von den Bundesgesetzen abweichende Gesetze zu beschließen. Auch, dass sogenannte Kooperationsverbot in der Schulpolitik war Teil der Reform aus dem Jahr 2006.  

Ein Grundgesetz für alle 

Ursprünglich war das Grundgesetz als Provisorium gedacht, das bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten eine allgemeine Ordnung sicherstellen sollte. In der ersten Fassung von 1949 hieß es in der Präambel: dass „das Deutsche Volk“, das durch den Parlamentarischen Rat vertreten wurde, „auch für jene Deutschen gehandelt [habe], denen mitzuwirken versagt war.“ Mit der Wiedervereinigung wurde dieser Satz angepasst und lautet heute: „Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“