Noch nie gab es so viele Videospielerinnen und Videospieler, aber auch das Angebot ist gewachsen.
AFP/INA FASSBENDER

Am Tag nachdem Microsoft immerhin vier eigene Game-Studios geschlossen hatte, meldete sich Matt Booty, seines Zeichens Head of Xbox Game Studios, zu Wort. "Wir brauchen kleinere Spiele, die uns Prestige und Preise einbringen", ließ er die Anwesenden des einberufenen Town Hall Meeting wissen.

Die Worte von Booty sorgten unter den Beteiligten für Unverständnis, wie Insider mehreren US-Medien berichteten. Mit Tango Gameworks hatte Microsoft ein Studio geschlossen, das mit dem Titel "Hi-Fi Rush" genau ein solches prestigeträchtiges Spiel im Vorjahr hervorgebracht hatte. Generell warf das Meeting mehr Fragen auf, als es beantworten konnte, steht aber stellvertretend für das Horrorjahr 2024, in das die Games-Branche irgendwie hineingeschlittert ist.

Über den Erwartungen

Drei Millionen Spieler wenige Monate nach seinem Release, mehrere Preise und begeisterte Kritiken – all das erreichte der Action-Titel "Hi-Fi Rush" völlig überraschend zu Beginn des vergangenen Jahres. Kaum wurden Gerüchte laut, das Spiel würde hinter den Erwartungen zurückliegen, meldete sich im April 2023 der Xbox-Games-Marketingverantwortliche Aaron Greenberg auf Social Media, um die Relevanz des Titels für den US-Konzern zu betonen. Das Spiel sei ein "großer Hit" für Microsoft und die Spieler, und das in allen "Bewertungen und Erwartungen".

Auch der Xbox-Chef Phil Spencer lobte in mehreren Interviews das Spiel und betonte seine Relevanz für den künftigen Weg von Microsoft und Xbox. Von all dem ist dieser Tage wenig über. Während derzeit einige Spiele in genau diesem Indie-Bereich Erfolge feiern, etwa "Manor Lords", "Hades 2" oder auch "Balatro", mussten die Macher von "Hi-Fi Rush" die Tore schließen. Und das, obwohl sie genau jene Punkte abhaken konnten, die Booty zuletzt als so wichtig für Microsoft erachtete. Neben Tango Gameworks wurden diese Woche auch Arkane Austin ("Prey", "Redfall"), Alpha Dog ("Mighty Doom") und Roundhouse Games von Microsoft geschlossen.

Worte aus der Branche

Bereits Ende Jänner berichtete unter anderem DER STANDARD, dass in den ersten vier Wochen des Jahres 2024 über 5000 Menschen in der Branche ihren Job verloren haben. Allein bei Microsoft waren es damals schon rund 1900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Beim US-Unternehmen sorgte vor allem der Kauf von Activision Blizzard im Vorjahr für "Überschneidungsbereiche", wie es Xbox-Chef Phil Spencer damals nannte.

Aber auch sonst scheinen viele Bereiche nach der Corona-Pandemie, die einen Wachstums- und Umsatzboom in der Branche auslöste, wieder auf alte Größen zurückzuschrumpfen. Egal ob die große schwedische Embracer Group, Microsoft oder Sony, sie alle waren in den letzten Monaten von Kürzungen im Personal betroffen. Ein daraus resultierender Trend war deshalb, dass sich manche Studios von ihren Publishern freikauften. So kündigten beispielsweise die Gründer von Saber Interactive vor wenigen Wochen an, ihre Firma für 247 Millionen US-Dollar von der Embracer Group zurückkaufen zu wollen.

Auch der Österreicher Thomas Mahler meldete sich zu den neuerlichen Schließungen mit der Ansage, dass er genau deshalb sein Studio nie zum Kauf angeboten hätte. "An alle, die mich seit Jahren damit belästigt haben, warum wir Moon Studios nicht erlauben, von einem großen Publisher übernommen zu werden … das ist, warum", erklärt Mahler am Dienstag auf X. Die Entwicklung sei seiner Meinung nach nicht neu, sondern die Branche hätte eine ähnliche Welle an Schließungen bereits in den 1990er-Jahren erlebt, damals vor allem durch Electronic Arts.

Taktische Spielchen

Die Presse, mit der Mahler gerne kritisch ins Gericht geht, solle bei der Bewertung solcher Entwicklungen in jedem Fall vorsichtig sein und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ohne Insider-Informationen zu haben, geht Mahler selbst davon aus, dass die Studios vorab informiert wurden. Vielleicht mache es für die Macher von "Hi-Fi Rush" ja auch mehr Sinn, sich "neu zu formieren", um so effizienter arbeiten zu können als in einer "wahrscheinlich aufgeblähten Struktur".

Weniger diplomatisch sieht das Dinga Bakaba, Studio Director bei Arcane Lyon ("Deathloop"), der den Abgang seiner Kolleginnen und Kollegen mit langen Postings auf X kommentiert. Die Geschehnisse seien "schrecklich", er möchte alle Führungskräfte in der Branche daran erinnern, dass es ihre Pflicht sei, sich um die "Künstler und Entertainer" in den Studios zu kümmern. "Missbraucht uns nicht für taktische Spielchen, nutzt uns nicht als Strohmänner für Fehlkalkulationen, lasst unsere Arbeitsplätze nicht zu einem darwinistischen Dschungel verkommen", lässt er seinen Gefühlen freien Lauf. Die Publisher und Eigentümer würden immer sagen, dass sie stolz auf gute Spiele ihrer Studios seien. "Macht uns stolz, wenn die Zeiten hart sind. Wir wissen, dass ihr dazu in der Lage seid." (aam, 11.5.2024)