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Analyse von Ulrich Reitz: Die SPD steuert Deutschland ins Renten-Chaos - und hat einen starken Verbündeten
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Die Rente mit 63 mag falsch sein, aber: Sie ist beliebt. Und genau darum haben sich die Freien Demokraten jetzt mit einem übermächtigen Gegner angelegt.
Die Rente mit 63 mag falsch sein, aber: Sie ist beliebt. Und genau darum haben sich die Freien Demokraten jetzt mit einem übermächtigen Gegner angelegt.
  • FOCUS-online-Korrespondent

Die derzeitige Rentenpolitik – und nicht nur die Rente mit 63 – ist unvernünftig. Aber im Volk beliebt. Deshalb hat sich die FDP nun mit einem schier übermächtigen Gegner angelegt. Nicht zum ersten Mal.

Wer den Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ studieren will, braucht nur auf die Rente mit 63 zu gucken. Ein Paradebeispiel sozialdemokratischer Sozialpolitik, von Andrea Nahles 2014 in einer Großen Koalition mit Angela Merkels Hilfe durchgesetzt. Das Ziel war durchaus ehrenwert: Langjährig Versicherte, Geringverdiener vor allem, sollten nach 45 Jahren „harter Arbeit“, gesundheitlich am Ende, vorzeitig in Rente gehen können, und das ohne Abschläge.

Die FDP stellt das in der Ampel infrage. Die SPD verteidigt, was sie einst einführte, mit dem personifizierten Dreifach-Wumms aus Bundeskanzler, Parteichefin und Generalsekretär – wenn man Sozialdemokraten an die sozialen „Errungenschaften“ geht, kennen sie kein Pardon. Olaf Scholz braucht nur ein Wort, um seine Abscheu über den liberalen Versuch sozialpolitischer Ratio auszudrücken: „absurd“.

Die FDP und die Rente: Es geht nicht ums Ausspielen

Ihre Sozial- und Haushaltspolitiker argumentieren dann, man dürfe die äußere Sicherheit nicht gegen die innere Sicherheit und diese nicht gegen die soziale Sicherheit „ausspielen“. Sicher – jede Haushaltsschlacht ist stets ein Verteilungskampf. Darauf haben Sozialdemokraten kein Allein-Abo.

Nur: Es geht nicht ums Ausspielen. Ausspielen fungiert hier als Tabu. Um gar nicht erst diskutieren zu müssen: Sozial, was ist das überhaupt? Das Bürgergeld, um eine andere soziale Milliarden-Subvention ins Spiel zu bringen, mag für ukrainische Flüchtlinge eine echte Wohltat gewesen sein – Deutschland gewährte nicht nur Schutz vor russischer Verfolgung, sondern auch noch soziale Absicherung.

Aber: In anderen Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden gingen ukrainische Flüchtlinge arbeiten, in Deutschland bekamen sie Staatsalimentation. Was ist im Ergebnis sozialer? Wäre es nicht klassisch sozialdemokratisch zu sagen: Sozial ist, was Arbeit schafft?

Vom Bürgergeld profitieren nicht nur ukrainische Frauen und deren Kinder, sondern auch ukrainische Männer im wehrfähigen Alter, die sich dem Kriegsdienst in der Ukraine entzogen haben. Menschlich ist das verständlich, aber ist es auch finanz- und sozialpolitisch vernünftig?

Die Folgen der Rente mit 63 sind fatal

Deutschland liefert für Milliarden der Ukraine Waffen, alimentiert über den Sozialstaat potenzielle Kämpfer, die die ukrainische Regierung dringend braucht, und verhindert nun auch noch, dass sie nach einem abgelaufenen Visum in ihr Land heimkehren. Kühl betrachtet, konterkariert die Regierung die eigene Ukraine-Hilfe mit ihrer Politik. Dieser Punkt spielt dann auch in den Haushaltsberatungen: keine Rolle. 

Als Sozialministerin hat Andrea Nahles die Rente mit 63, die aufgrund der demografischen Entwicklung längst zur Rente ab 64 geworden ist, für den rückenkranken Dachdecker geplant. Der war schon für Gerhard Schröder die sozialpolitische Referenzgröße. Ein Blick auf die Zahlen verwandelt die gut gemeinte Idee in eine schlecht gemachte Illusion: 

Wer nach 45 Rentenbeitragsjahren abschlagsfrei vom Job nach Balkonien zieht, dem geht es in der Regel gesundheitlich besser als dem regulären Ruheständler. Das hat – schon vor längerer Zeit – das Institut der Deutschen Wirtschaft herausgefunden. Es sind auch nicht die Armen, die dieses sozialpolitische Instrument nutzen, sondern Menschen mit mittlerem Verdienst, die zudem überdurchschnittlich hohe Renten beziehen. Die meisten von ihnen sind auch noch anständig ausgebildet, die Folgen der Rente mit 63 sind fatal: 

Die sozialdemokratische Erfindung verstärkt die Facharbeiterlücke, kostet den Sozialstaat Unsummen und hilft auch noch den Falschen.

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Vorschläge, um das Rentendesaster zu verhindern, gibt es schon lange

In den Worten des Freiburger Sozialstaatsprofessors Georg Cremer, der 17 Jahre als Generalsekretär von Deutschlands größtem Wohlfahrtsverband wirkte, der Caritas, für die rund 700.000 Menschen arbeiten: „Die Rente mit 63 war kontraproduktiv. Sie wird überwiegend von Menschen genutzt, die gut qualifiziert sind und überdurchschnittliche Renten beziehen – nicht nur vom rückenkranken Dachdecker, für die sie angeblich gedacht war.“ Die Rente mit 63 verbuchte Prof. Cremer in der „Wirtschaftswoche“ gnadenlos kühl als „vermeidbaren Kostenanstieg“. 

Mit der Rente mit 63 produzierte der Sozialstaat Milliardenkosten, die sozialpolitisch sogar ihr Ziel verfehlten – reine Verschwendung also. Viel besser sieht es auch nicht beim sogenannten Rentenpaket zwei der Ampelkoalition aus. BDI-Präsident Rainer Dulger nennt sie die teuerste Reform des Jahrhunderts. Und der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen urteilt über die Idee so: „Das Rentenniveau bei 48 Prozent zu belassen und das Renteneintrittsalter nicht zu erhöhen, ist ökonomischer Wahnsinn und wäre in Mathe eine Sechs“. 

Vorschläge, um das Rentendesaster, diese sozialpolitische Katastrophe mit Ansage, zu verhindern oder mindestens abzumildern, gibt es schon lange. Wie den rationalen Vorschlag der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Allein: Mit Sozialdemokraten ist darüber nicht zu reden, die SPD hat nach den Schröder-Jahren wieder verinnerlicht: Sozial ist, was einer möglichst großen Zahl von Menschen zugutekommt, und nicht: einer möglichst großen Zahl von wirklich Bedürftigen. Kritiker nennen es spöttisch: Prinzip Gießkanne.

Die Rente mit 63 mag falsch sein, aber: Sie ist beliebt

Aber genau das erklärt, weshalb mit der SPD darüber nicht zu reden ist. Die Rente mit 63 mag falsch sein, aber: Sie ist beliebt. Im Schnitt der vergangenen Jahre nutzten mehr als 250.000 Menschen dankbar dieses von den Sozialdemokraten ersonnene Instrument. Es ist – neben einem nochmals erhöhten Mindestlohn und einem schon zweimal binnen kürzester Zeit erhöhten Bürgergeld – der sozialpolitisch wichtigste Baustein in der Wiederwahlkampagne von Olaf Scholz.

Und genau darum haben sich die Freien Demokraten jetzt mit einem übermächtigen Gegner angelegt. Es mag angesichts der miesen Umfragen Verzweiflung sein oder die Pflege der eigenen, ökonomisch sachverständigen „Kundschaft“ – diese Schlacht kann die FDP kaum gewinnen. Denn der Preis für diesen Gewinn wäre die Kapitulation der SPD auf ihrem wichtigsten Feld.

Das wäre so, als ob die FDP frohen Herzens die Schuldenbremse über Bord werfen würde oder die Grünen freudig erregt ihren Klimaschutz.

Manchmal wiederholt sich Geschichte doch

Und damit in diesem Text nicht alles mit der SPD heimgeht: Gute Erfahrungen mit der drastischen Belastung der Rentenfinanzen zu wahltaktischen Zwecken hat auch die Union schon gemacht, besonders gute die CSU. Deren Mütterrente heilte auch eine Ungerechtigkeit, kostet die Rentenversicherung nach deren Angaben aber auch rund 13 Milliarden Euro im Jahr. 

Die Mütterrente wurde übrigens 2014 im selben Rentenpaket mit der Rente ab 63 beschlossen. Es war ein Renten-Deal der beiden großen Volksparteien, eine Vereinbarung der großen Koalition der Sozialpolitiker – zulasten der Kassen. Die Arbeiterpartei durfte etwas tun für die „kleinen Leute“, die Familienpartei durfte die Mütter bedienen. Auf die parteiübergreifende Koalition der Sozialpolitiker ist stets Verlass. So war es immer schon. 

Die größte aller Rentenreformen, die Kopplung der Rente an die Löhne („Dynamisierung“), verabschiedete der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD. Die FDP stimmte geschlossen dagegen. Das war 1957. Es hatte diesen politischen Hintergrund: 

Die Regierung Adenauer war in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre immer unbeliebter geworden. Der wichtigste soziale Grund dafür war, dass die Rentner am Wirtschaftswunder nicht teilhatten. Der zweitwichtigste Grund war die in der Bevölkerung unpopuläre Aufrüstung der Bundeswehr. Die Kritik an der „Remilitarisierung“ Deutschlands konterte Konrad Adenauer mit der größten Sozialreform der Bundesrepublik. 

Manchmal wiederholt sich Geschichte doch. Adenauer holte danach die einzige absolute Mehrheit in der Geschichte der Bundesrepublik. 

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