Was Millennial-Eltern bei der Erziehung anders machen – „Druck ist so hoch“
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Was Millennial-Eltern bei der Erziehung anders machen – „Druck ist so hoch“

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Auf Social Media zeigen junge Mütter, wie sie ihre Kinder gefühlvoll und auf Augenhöhe erziehen. Sie selbst leiden dabei häufig am „Mom-Impostor Syndrom“.

„Lass ihn schreien, sonst gewöhnt er sich noch daran, dass er alles bekommt, wenn er nur lang genug quengelt“ –Ratschläge wie diese kennen viele Eltern, vor allem Mütter. Etwa, wenn das Kind im Supermarkt ausrastet. Eltern in der Millennial-Generation (zwischen 1980 und 1995 geboren) folgen diesen vermeintlich gut gemeinten Tipps aber nicht mehr – zumindest ist das der Eindruck, den Social-Media-Plattformen vermitteln.

Auf Instagram begleiten „Millennial Moms“ ihre Kinder in den Schlaf und erzählen, wie sie die Kleinen bei „starken Gefühlen“ unterstützen. Bindungs- oder bedürfnisorientierte Erziehung heißt die Methode. Katharina Hübner, Erzieherin, Familienberaterin und selbst Millennial-Mom von drei Kindern, hat es sich zum Beruf gemacht, Eltern diese Herangehensweise näherzubringen. Sie ist überzeugt: Kinder, die so aufwachsen, werden es besser haben.

Junge Mutter mit Baby auf dem Arm guckt auf das Smartphone
Millennial-Eltern wollen einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern etablieren. (Symbolbild) © Westend61/IMAGO

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Warum der Erziehungsstil der Millennials ein Privileg ist

Den Erziehungsstil, mit dem Millennials selbst groß geworden sind, nennt Hübner „konventionell“, er sei aber schwierig einzuordnen. „Unsere Großeltern, die Nachkriegsgeneration, haben autoritär erzogen – keine Gefühle, keine Tränen“. Die Eltern der Millennials seien bereits weniger streng gewesen. Junge Eltern von heute versuchten aber nicht nur, ohne Prügel zu erziehen, sondern wollen einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern etablieren.

„Das ist ein Privileg“, erklärt die Expertin. „Unsere Eltern und Großeltern waren damit beschäftigt, grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen“. Essen auf dem Tisch, Dach über den Kopf, gesicherte Verhältnisse. „Deswegen wird bedürfnisorientierte Erziehung oft in gut situierten Haushalten gelebt“. Wer existenzielle Sorgen hat, habe keine Kapazitäten darüber nachzudenken, woher Denkmuster kommen und wieso man seine Kinder anschreit. In der Millennial-Generation sei bei vielen eine gewisse Grundsicherung erreicht, sodass man sich jetzt mit Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetzen könne – die der Kinder und der eigenen.

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Worum es bei der bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehung wirklich geht

Tatsächlich ist „Attachment Parenting“ aber kein neuer Trend, sondern eine Methode, die bereits in den 1970er Jahren in den USA entwickelt wurde. Das Konzept: Bedürfnisse erkennen, erfüllen und eine stabile Bindung zum Kind aufbauen. „Es geht nicht darum, jedem Konflikt aus dem Weg zu gehen und der Harmonie wegen Kindern jegliche Wünsche zu erfüllen“, erklärt Hübner. Es gehe auch um die Bedürfnisse der Eltern. „Es ist sinnlos zu versuchen, sein Kind in den Schlaf zu wiegen, wenn man selbst total wütend und frustriert ist“. Ihr Credo: „Wir müssen dafür sorgen, dass Eltern anders aufgestellt sind, sodass wir Kindern auf Augenhöhe begegnen können“.

Statt dem Kind anzudrohen, ohne es nach Hause zu gehen, wenn es nicht aufhört, im Supermarkt Theater zu machen, sei ein ruhiges Gespräch demnach der richtige Weg: „Ich sehe dich, ich nehme deine Gefühle wahr und deine Wut darf sein. Ich zeige dir jetzt Wege, wie du mit Wut und Frust umgehen kannst“.

Mit Emotionen umzugehen sei etwas, das Millennials in ihrer Kindheit selbst nicht gelernt haben, sagt Hübner. Deswegen habe diese Generation auch „so viele Päckchen“, erklärt die Expertin. Fragen wie „wieso versuche ich es allen recht zu machen, wieso darf ich nicht weinen, wieso schlucke ich meine Wut runter, raste aus oder gehe über meine Grenzen“, seien ihre ständigen Begleiter. Viele Millennial-Eltern wollen das für ihre Kinder nicht.

Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.

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Schattenseite der neuen Erziehung: „Mom Impostor Syndrom“

Der Austausch zu Erziehung und Kindesentwicklung spielt sich heute mehr auf Social Media und weniger auf dem Spielplatz ab. Auf ihrem Profil erreichen Hübner Fragen und entsprechend gestalte sie ihren Content. So können sich Menschen informieren und trauen sich eher Fragen zu stellen. Die schlechte Seite: Millennial-Eltern, vor allem Mütter, fangen an, sich zu vergleichen.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Laut einer Studie, die das Marktforschungsinstitut Ipsos und die Online-Therapieplattform HelloBetter durchgeführt haben, belastet Social Media die Bewertung der eigenen Fürsorge. Jede dritte Mutter leide demnach am „Mom-Impostor Syndrom“. Sie haben das Gefühl, nicht gut genug zu sein und ihrer Rolle nicht gerecht zu werden. Sie befinden sie sich im physischen und psychischen Dauerstress, was zum Burnout führen kann.

Das bestätigt auch Hübner. „Viele Eltern melden sich bei mir und sagen: Der Druck ist so hoch“. Wenn das Kind weint, sei der Reflex vieler Eltern nun zu denken, sie haben etwas falsch gemacht. Dabei sei es völlig normal, dass Kinder weinen und wütend sind. „Diese Momente werden auf Social Media aber nicht gezeigt. Das hat auch mit dem Schutz der Kinder zu tun“, sagt Hübner. Aber darüber zu sprechen oder die Wäscheberge zu zeigen – das sei wichtig. Dennoch sieht Hübner die Entwicklung optimistisch. Sie beobachtet einen Trend zur „ehrlichen Elternschaft“. Millennial-Mütter und -Väter, die transparent ihr Leben als junge Eltern zeigen, ohne sich oder das Kind zu sehr zu inszenieren.

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