Edgar Ende und Herbert Rolf Schlegel werden mit ihren Werken auf Schloss Cappenberg ausgestellt: „Weltensichten“
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Auf Schloss Cappenberg werden Edgar Ende und Herbert Rolf Schlegel ausgestellt

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„Die Befreiung“ (1960, Tusche mit Deckweiß) von Edgar Ende.
„Die Befreiung“ (1960, Tusche mit Deckweiß) von Edgar Ende. © ©michael ende erben, vg-bildkunst bonn 2024

„Weltensichten“ ist eine Ausstellung des Kreises Unna, die das surreale Werk Edgar Endes und den romantischen Idealismus von Herbert Rolf Schlegel auf Schloss Cappenberg vorstellt. Sehenswert.

Selm – „Frauen sind wie Männer, sehen anders aus, aber im Kern sind wir beide.“ Mit diesem erinnerten Zitat denkt der Sammler Axel Hinrich Murken an den Künstler Herbert Rolf Schlegel (1889–1972). Schlegel, in eine Breslauer Kaufmannsfamilie geboren, orientierte sich nach Studien in Düsseldorf, Weimar und Kassel mit seiner facettenreichen Malerei an ganz eigenen Themen, die auch die binären Geschlechterrollen von Frau und Mann hinterfragten. Sein androgynes Menschenverständnis verband sich mit einer romantischen Naturvorstellung. Auf Schloss Cappenberg in Selm zeigt der Kreis Unna Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Miniaturen und Kunstmethodikhefte von Herbert Rolf Schlegel. Gleichzeitig wird das Werk Edgar Endes in der gemeinsamen Ausstellung „Weltensichten“ vorgestellt. Der Surrealist (1901–1965), Vater des Märchenautors Michael Ende, fand in der bundesdeutschen Nachkriegszeit wenig Anerkennung. Dabei zählt er neben Max Ernst zum modernen Surrealismus hierzulande. Dass Edgar Ende und Herbert Rolf Schlegel mit ihren unterschiedlich visuellen Reaktionen auf die Welt präsentiert werden, ermöglicht der Sammler Axel Hinrich Murken (86). Der Arzt, Medizinhistoriker und Kunstsammler aus Gütersloh hat zusammen mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin und Malerin Christa Murken, entschieden, dem Kreis Unna seine gesammelten Bilder als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Beide Kunstkonvolute der deutschen Avantgarde passen zur Ausstellungstätigkeit des Kreises Unna. Während im Haus Opherdicke (Holzwickede) Vertreter der sogenannten verschollenen Generation ausgestellt werden, die unter den Nationalsozialisten als „entartet“ galten und ihre Bilder nicht öffentlich zeigen konnten, wird im Schloss Cappenberg Kunst aus der Nachkriegszeit mit aktuellen Positionen im Dialog präsentiert.

In Selm stellen die Kuratoren Sally Müller und Arne Reimann die Werke der Künstler zu Begriffen wie beispielsweise „Mythologie und Religion“ vor. „Heimkehr“ (um 1925) ist ein Gemälde Schlegels, das eine idealisierte Familie zeigt. Die Mutter trägt barbusig ein Baby und hält einen blonden Jungen bei der Hand. Der Vater, von der Mutter verdeckt, wirkt konzentriert und hat die Tochter mit ihren langen Zöpfen im Blick. Ohne Gepäck erscheint die kleine Gruppe auf dem Weg der inneren Heimkehr. Schlegel, der sich mit Naturlehren und Reformpädagogik beschäftigte, lässt die Menschen dem Vorbild nach wie die Heilige Familie strahlen, ohne sie zu überhöhen. Die unifarbenen leichten Stoffe umspielen hochgewachsene Gestalten, die in ihrer Körperlichkeit edel und besonders erscheinen. Der See und die Berge bilden eine wohlproportionierte Landschaftskulisse, bei der ein paar dunkle Wolken vielleicht den Wetterumschwung ankündigen, der die Familie zu maßvoller Eile treibt. Schlegel entwirft ein harmonisches Miteinander als irdisches Glück – eine Gegenwelt zum politischen Gesinnungskrieg in der Weimarer Republik. Dagegen wirkt „Profundis“ (1952) wie eine Apokalypse voller Abgründe. Edgar Ende personifiziert Kriegsende und Weltuntergang zu einem entseelten grauen Wesen ohne Arme und Beine auf einer Insel. Kleine Figuren ragen hervor, Tauben sitzen in Hohlräumen und zwei von ihnen erheben sich wie Friedensboten oder begeben sich vor grau-schwarzem Horizont auf die Suche nach einer besseren Welt. Hoffnung ist hier ein kleines Gut.

Edgar Endes fantastische Malerei ist oft gedankenschwer. Der Hamburger studierte Kunst Anfang der 1920er Jahre in seiner Heimatstadt und ließ sich im abgedunkelten Atelier zu Visionen führen, die er auf Zettel im Licht einer Taschenlampe notierte. In der Ausstellung sind diese „Dunkelkammerzeichnungen“ zu sehen. Es sind Strichnotizen. Außerdem werden Gemälde, Gouachen, Zeichnungen, Plakate und Grafiken ausgestellt. Aus Endes Atelier in Oberbayern sind seine Farbpalette und eine Schreibmaschine auf Cappenberg zu sehen.

Ende gelingen auch herrlich tragende Bilder voller Hoffnung wie die Zeichnung „Die Befreiung“ (1960), wenn vor heller horizontaler Weite ein großer Schwarm Vögel aus einem dunklen Wohnkarren fliegt – oder fliegt der Schwarm hinein?

Witzig und komisch ist „Johnnys ganze Liebe“ (1964). Das Gemälde zeigt ein kerzengrades aufrechtstehendes Rennpferd, das freudig und stolz einen Siegerkranz mit den Vorderbeinen hochhält. Davor sitzt teilnahmslos der Jockey, dem diese Ehre nichts bedeutet. Es sind vertauschte Rollen.

Rollen hinterfragt vor allem Herbert Rolf Schlegel. Sein Gemälde „Liebesgarten“ (um 1925) ist ein sinnliches Paradies mit erotischen Anspielungen für diverse Paare. Der extravagante Künstler, der auf ausgewählte Schuhe Wert legte und sich die Lippen schminkte, wie Axel Hinrich Murken weiß, kam über den frühen Tod seiner Frau nicht hinweg. Elisabeth stirbt 1921 mit dem neugeborenen Baby in der gemeinsamen Kasseler Wohnung. Schlegel hatte sein Staatsexamen für Kunsterziehung bestanden. Er nimmt ihr Konterfei in seine Bilder auf, verlässt Kassel 1923 und zieht an den Ammersee. Die Ausstellung erinnert an einen Maler, der tagtäglich arbeitete. 2000 Gemälde gibt es von ihm und Gedichte.

Auf Schloss Cappenberg wird die Vielfalt im Werk beider Künstler in einer inhaltlich stimmigen Präsentation sehenswert aufbereitet.

Bis 6.10., di – so 10 – 17.30 Uhr. Tel. 02303/277 041.

Kataloge in Vorbereitung. www.kreis-unna.de/Erleben/Kultur/Museum-Schloss-Cappenberg/

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