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Kuschelkurs mit der EU: Welche Ziele Giorgia Meloni in Wahrheit verfolgt

Nicht nur Ursula von der Leyen hat ihre Absichten, wenn sie mit Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni anbändelt. Meloni selbst hat in Brüssel große Ziele und weiß um ihre Rolle als Schlüsselfigur bei den Europawahlen.

von Lea Hensen · 14. Mai 2024
Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni bei der International Conference On Development And Migration im Juli 2023

Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni bei der International Conference On Development And Migration im Juli 2023

Giorgia Meloni geht fremd in Straßburg. So konnte man die Ankündigung der italienischen Regierungschefin verstehen, nach nur zwei Jahren Amtszeit bei den Europawahlen zu kandidieren. 

Die Postfaschistin, die sich gern als „Mutter der Nation“ bezeichnet, bat die Italiener*innen zuletzt, im Juni für sie zu stimmen. Dabei sollen sie einfach nur „Giorgia“ auf den Wahlzettel schreiben. Das italienische Wahlrecht erlaubt eine Wahl per Vornamen. 

Im Fall von „Giorgia“ steckt dahinter aber eine besondere Botschaft: „Sie haben mich Fischweib, Marktfrau, Proletin genannt“, erklärte Meloni, die aus dem ehemaligen römischen Arbeiterviertel Garbatella stammt, pathetisch. „Doch, was sie nie verstanden haben: Ich war immer, bin und werde immer stolz sein, eine Person des Volkes zu sein."

Natürlich will die Meloni ihr Amt als Regierungschefin nicht schmeißen. Beide Ämter gleichzeitig auszuüben, schließt das Wahlrecht nämlich aus. Und so ist die Kandidatur bei den Europawahlen reine Show: Meloni verleiht der Wahl ihr Gesicht, aber ins Parlament zieht am Ende der Kandidat oder die Kandidatin mit den zweimeisten Stimmen auf der Liste. 

Der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte das Spiel in seiner langen Amtszeit gleich dreimal vorgemacht. Im Juni kandidieren auch Vizepremier Antonio Tajani für die Koalitionspartei „Forza Italia“ und Elly Schlein für die Sozialdemokraten. Beide haben wohl kaum ernsthaftes Interesse, nach Straßburg zu wechseln. Vielmehr sind die Scheinkandidaturen in Italien ein beliebtes Stimmungsbarometer und bieten die Möglichkeit, sich nach zwei Jahren Regierung neu zu inszenieren. 

Wahlslogan „Italien verändert Europa“

Doch Melonis Ziele greifen weiter. In den Wahlkampf zieht sie für ihre „Fratelli d’Italia“ mit dem Slogan: „Italien verändert Europa“. Sie wolle nun „auch in der EU die Linke in die Opposition schicken“, versprach sie, als sie ihre Kandidatur verkündete. Die Postfaschistin will die Machtverhältnisse in Europa verändern und für die Mitte-Rechts-Parteien eine Mehrheit im EU-Parlament schaffen. 

Ihre Chancen stehen nicht schlecht: Umfragen sagen ihr eine Zustimmung von mehr als 28 Prozent voraus. Das würde ihr Wahlergebnis von 2022 um zwei Prozentpunkte übertreffen. 

Da kommt es gelegen, dass ihr die europäischen Konservativen ganz offen die Hand reichen. Seit Monaten sieht man Meloni auf gemeinsamen Fotos mit Ursula von der Leyen, Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP). Die beiden umarmen sich fröhlich oder tuscheln, wahlweise in Tunesien, Ägypten oder auf Lampedusa, wo es jeweils um die Eindämmung von Flüchtlingsströmen ging. 

Von der Leyen stärkte Melonis Migrationspolitik den Rücken. Sie selbst hofft auf eine zweite Amtszeit in Brüssel und setzt dafür auf die Gunst aus Rom: Zum einen müssen möglichst viele Regierungs- und Staatschefs für die Konservative stimmen. Zum anderen muss das EU-Parlament die Kommissionspräsidentin bestätigen. Meloni hat dort den Vorsitz der rechtskonservativen Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) inne, der neben den „Fratelli d’Italia“ auch die rechtsextreme spanische Partei Vox und die nationalkonservative polnische Regierungspartei PiS angehören.

Auch Söder war zu Besuch bei „Giorgia"

Und so erklärte von der Leyen zuletzt, sie sei für eine Zusammenarbeit mit der EKR offen. Damit ist sie nicht allein. EVP-Vorsitzender Manfred Weber und Spitzenkandidat der CSU hatte bereits kurz nach Melonis Antritt den Kontakt zu der Postfaschistin gesucht. 

Und am Wochenende war Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in Rom zu Gast: Auf Instagram sah man ihn Eis schleckend auf der Piazza und beim Schwätzchen mit „Giorgia“ im Chigi-Palast. Die Konservativen verstärken damit den Eindruck, die Postfaschistin sei gar nicht so rechts wie gedacht. Das denken seit ihrem Amtsantritt viele, immerhin hat Meloni ihre Anti-EU-Polemik aus dem Wahlkampf abgelegt und tritt nach außen proeuropäisch auf. 

Doch der Schein trügt: Italien braucht die EU, allein schon wegen der 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfsfonds. Innenpolitisch zeigt sich die Regierungschefin als das, was sie ist: eine Postfaschistin, die die Mussolini-Ära zwar als historisch abgeschlossen sieht, sich aber nicht eindeutig von ihr abgrenzt. 

Melonis Partei ist in direkter Erblinie aus der neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italia“ entstanden, in ihrem Parteisymbol lodert noch heute die faschistische Flamme. Sie strebt danach, das Land mit Reformen autokratisch umzugestalten, damit das Volk seinen Regierungschef selbst wählt. Sie versucht, Kultur und Medien zu kontrollieren und zieht Kritiker vor Gericht. Erst vergangene Woche protestierte der italienisch öffentlich-rechtliche Rundfunk gegen zunehmende Zensurversuche durch die Regierung.

Auf Abstand zum Regierungspartner Salvini

Das alles gibt einen Eindruck von einer möglichen italienischen Europapolitik, sollte die EKR mithilfe der EVP in Straßburg zuviel Gewicht bekommen. Daran ändert auch nichts, dass Meloni auf EU-Ebene auf Abstand zur ultrarechten Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) geht, der neben der AfD und dem französischen Rassemblement national auch ihr Regierungspartner, die Lega-Partei, angehört. 

Auch das ist Taktik und nicht etwa ein Abgrenzen nach Rechtsaußen: Die Wählerstimmen der Lega sinken, Parteichef Matteo Salvini polemisiert und verliert die Zustimmung in den eigenen Reihen. Meloni weiß, arbeitet sie mit ihm zusammen, würde sie die Anerkennung der Konservativen verlieren. Und die muss sie sich unbedingt wahren, will sie ihre Ziele in Brüssel erreichen.

Autor*in
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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