Remmo-Boss an der Seenplatte: Ein Dorf und der Sensations-Tourismus
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Prominenz

Remmo-Boss an der Seenplatte: Ein Dorf und der Sensations-Tourismus

Grabowhöfe / Lesedauer: 5 min

Nachdem bekannt wurde, dass sich in Grabowhöfe-Ausbau der mutmaßliche Clan-Chef Issa Remmo angemeldet hat, gaben sich viele Kamerateams die Klinke in die Hand.
Veröffentlicht:14.05.2024, 06:00

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Auf den ersten Blick ist Grabowhöfe ein Dorf wie jedes andere. Hübsche Häuschen erstrecken sich links und rechts der Asphaltpiste, die mitten durch den Ort führt und deren Ränder zurzeit mit Wahlplakaten, vor allem der AfD, gepflastert sind. Doch halt, da gibt es etwas Besonderes. Nein, damit ist nicht der Tiererlebnispark mitten im Ort gemeint, mit Dromedaren, Kängurus oder Pinguinen, der für ein mecklenburgisches Dorf eher ungewöhnlich ist.

Süddeutsche, Spiegel TV, Sat1 – alle waren da

Vor allem die Tatsache, dass der mutmaßliche Clan-Chef Issa Remmo sich ausgerechnet in dem Nest nördlich von Waren niedergelassen hat, sorgte plötzlich für bundesweite Schlagzeilen. Von Spiegel TV über den Berliner Tagesspiegel und Sat 1 bis zur Neuen Zürcher Zeitung und jüngst der Süddeutschen – sie alle schickten Drehteams oder Reporter in die MV-Einöde.

Horden von Journalisten störten die Kulisse dieser vermeintlichen Idylle. Mit ihren Kameraleuten und Mikrofonen belagerten sie Häuser oder versuchten, irgendwo irgendeinen Hinweis auf eine Story zu erhaschen. Die Leute müssen doch alle etwas zu ihrem neuen prominenten Mitbewohner sagen (wollen).

Für sowas gibt es kein Coaching

„Und ich fragte mich: Was ist da plötzlich los?“, sagt Bürgermeister Enrico Malow (CDU). „Plötzlich kamen alle an und wollten alles etwas zu Issa Remmo hören.  Für unsere wirklichen Probleme, etwa, dass die Gemeinde mehr als zweieinhalb Millionen Euro für die Sanierung einer Eisenbahnbrücke aufbringen soll, hat sich vorher niemand interessiert.“

Erst jetzt kann der Bürgermeister innehalten und reflektieren. „Auf so etwas ist kein ehrenamtlicher Bürgermeister vorbereitet“, sagt er. Dafür gäbe es kein Coaching. „Dass Journalisten dein Haus belagern, obwohl die Straße wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Dass sie mit dem Finger das Telefonbuch absuchen und alles anrufen, was Malow heißt. Selbst die Eltern und sogar bei der verstorbenen Großmutter, nachdem das Amt meine Handynummer natürlich nicht preisgeben hat. Das war alles sehr beklemmend!“

Als ihn dann Anrufe aus halb Deutschland selbst in seinem Urlaub erreichten, hat Malow sämtliche Journalisten „gebündelt“ und sie zu einer normalen Gemeindevertretersitzung eingeladen. Da gab es eine Live-Presseecke. „Wir sind schließlich keine Geheimnisträger und geben gern Auskunft!“ An jenem Tag lauerten dann TV-Teams von 14 und 21 Uhr vor dem Gemeindebüro und wunderten sich, wieso letztlich nichts Weltbewegendes passiert ist, sagt Enrico Malow.

„Wie ein Bäckermeister nach vier Wochen Frühschicht“

In Grabowhöfe selbst hat Issa Remmo bislang kaum jemand zu Gesicht bekommen. An dem Tag, als der neue Bewohner erstmals das Gemeindebüro aufsuchte, war nur eine Lokaljournalistin, unsere Kollegin Antje Gest vom Portal „Wir sind Müritzer“, vor Ort. Sie setzte sich mit Issa Remmo hin und fragte ihn selbst, nachdem anderen Medien nur spekuliert hatten.

Der mutmaßliche Clan-Boss habe da ausgesehen „wie ein Bäckermeister nach vier Wochen Frühschicht, das T-Shirt verschnitten, die weiße Hose zu eng“, urteilte die Süddeutsche anhand des Händeschüttel-Fotos, das damals mit Bürgermeister Enrico Malow entstand.

Nach all den Zeitungs-Berichten sei sogar ein kleiner Sensationstourismus ausgebrochen, schildert Malow. Ständig rollten Leute an, die unbedingt das Haus von Issa Remmo sehen wollten. Sie fragten im Tierpark Grabowhöfe oder in der Kartoffelverkaufshalle. „Man hätte da Parkuhren aufstellen können“, scherzt der Bürgermeister, der zugleich immer noch erstaunt wirkt, wie eine solche Information so viele Leute in Bewegung bringen kann. „Nie hätte ich gedacht, dass das jemals so einen Medienrummel auslöst.“

Schwere Vorwürfe und Beschimpfungen

Ja, einige hätten wohl schon länger gewusst, dass Issa Remmo sich hier seinen Wohnsitz ausgesucht hat – aber es nicht weiter bemerkenswert gefunden. Bis so ein bodenständiger Mecklenburger aus dem Häuschen gerät, muss eben schon anderes passieren. 

Menschen aus ganz Deutschland reagierten da teilweise weniger entspannt. Es sei ein regelrechter Shitstorm, wie das neudeutsch heißt, gegen ihn ausgebrochen, wundert sich Enrico Malow. „Wie konntest Du den Mann nur aufnehmen?“ oder „Sie können den doch nicht bei uns einbürgern!“ seien noch zwei der harmloseren Vorwürfe gewesen. „Es ist unglaublich, wie aggressiv und dünnhäutig unsere Gesellschaft geworden ist“, schüttelt der Bürgermeister den Kopf.

Hübsche Häuschen links und rechts der Straße, deren Ränder zurzeit mit Wahlplakaten behängt sind – vor allem von der AfD.
Hübsche Häuschen links und rechts der Straße, deren Ränder zurzeit mit Wahlplakaten behängt sind – vor allem von der AfD. (Foto: Silke Voß)

Vorzuwerfen habe er sich nichts, sagt Enrico Malow, der auch Vorsteher des Amtes Seenlandschaft ist und damit jener Meldebehörde, in der sich der zweifelhafte Prominente angemeldet hat. Was Außenstehende dabei nicht verstehen würden: Er sei als ehrenamtlicher Bürgermeister und Amtsvorsteher zwar Repräsentant, aber nicht Mitarbeiter des Amtes und habe demzufolge keinen Zugriff auf Daten, zum Beispiel der Meldebehörde. „Insofern habe auch ich erst irgendwann zufällig davon gehört, dass Issa Remmo hierher gezogen ist.“

Auch für Issa Remmo gelte Unschuldsvermutung

Malow gibt sich denn auch zurückhaltend freundlich in Bezug auf den Neu-Grabohöfer. „Der Mann ist nicht vorbestraft. Gegen ihn liegt kein rechtskräftiges Urteil vor“, sagt das Gemeindeoberhaupt. „Auch für so jemanden gilt die Unschuldsvermutung. Schließlich habe ich einen Eid auf die Verfassung geschworen, neutral zu sein.“

Issa Remmo selbst gilt als unbescholtener Bürger. Nach Medienberichten soll er zwar bereits 19 Mal im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen erkennungsdienstlich behandelt worden sein, aber stand offenbar nur ein einziges Mal wegen Polizistenbeleidigung vor Gericht – und wurde freigesprochen. Mehrere Familienangehörige Issa Remmos sind allerdings wegen schwerer krimineller Handlungen verurteilt worden.

Enrico Malows Fazit nach all den Wochen lautet jedenfalls: „Für uns war das alles nur Mehrarbeit, die uns vom Tagesgeschäft abgehalten hat.“  Und so ähnlich sieht es auch Tiererlebnispark-Chef Dirk Longino. All die „nervigen“ Sensationstouristen habe er kurzerhand „vom Hof gejagt“.