Zusammenfassung
Postmoderne Siedlungsentwicklungen werden seit rund drei Jahrzehnten debattiert. Im Vordergrund dieser Diskussionen steht eine ‚Netzwerkstruktur‘ postmoderner Siedlungsräume. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit gegenwärtig eher graduellen Entwicklungen von Siedlungen auseinander. Im Fokus stehen stadtlandhybride Entwicklungen, mit denen unterschiedliche Mischungen von städtischen und ländlichen wie auch natürlichen und kultürlichen Entwicklungen und Strukturen gefasst werden. Diese lassen sich – räumlich differenziert – als unterschiedliche Kompartimente von Raumpastiches auffassen. Ein Beispiel dieser stadtlandhybriden Kompartimente im Raumpastiche stellen urbanizing former suburbs – ehemals suburbane Räume, die unterschiedlich funktional, sozial und strukturell urbanisiert werden – dar.
Schlüsselwörter
- Stadtlandhybride
- Räumliche Pastiches
- URFSURBS
- Urbanizing former suburbs
- Hybridität
- Landschaft
- Stadt
- Pastiche
1 Einleitung: Jenseits klassischer räumlicher Deutungen
Seit mehr als drei Jahrzehnten werden postmoderne Stadtentwicklungen in den raumbezogenen Wissenschaften diskutiert (unter vielen: Basten 2005; Dear und Flusty 1998; Ellin 1999; Harvey 1989; Klotz 1985; Scott und Soja 1996; Soja 1989; Wood 2003) – Reflexionen, die auch vermehrt Niederschlag in der Landschaftsforschung (Bätzing 2000; Cosgrove 1997; Fontaine 2017; Kühne 2006, 2019; Kühne, Jenal, Koegst 2020; Kühne und Jenal 2020c; Papadimitriou 2020; Roßmeier 2019; Weber 2016; Zukin 1992) und in den Planungswissenschaften (Allmendinger 2000; Hartz und Kühne 2007; Lanz 1996) gefunden haben. Zentral ist bei der Untersuchung postmoderner Raumentwicklungen, wie sich die Differenzierung, Polarisierung, aber auch Ökonomisierung der Gesellschaft auf die Gestaltung physischer Räume sowie gesellschaftliche Konstruktionen von Raum auswirkt (siehe hierzu in diesem Handbuch: Aschenbrand 2024; Bernstein et al. 2024; Denzer 2024; Ellmers 2024; Koegst 2024; Kühne 2024a, 2024e, 2024b; Kühne et al. 2024; Kühne 2024c, 2024d; Linke 2024; Poerting und Marquardt 2024; Sedelmeier 2024; Weber 2024; Weirich 2024; Zimmermann 2024). Gerade in den frühen Jahren der postmodernen Raumforschung standen städtische Fragmentierungsprozesse (etwa in Form von gated communities, shopping malls, Edge Cities etc.), die häufig als Auflösung eines geordneten Siedlungsgefüges interpretiert wurden, im Vordergrund des Interesses. Diese Analysen ergänzten und reinterpretierten Forschungen zur Suburbanisierung (unter vielen Akademie für Raumforschung und Landesplanung 1975; Brake et al. 2001; Burdack und Hesse 2006; Donzelot 2004; Hayden 2004; Hesse und Siedentop 2018; Masotti und Hadden 1974; in diesem Handbuch: Dettmar 2024; Hofmeister und Mölders 2024; Vicenzotti 2024). Dabei endeten nahezu sämtliche Versuche, „die neue, postmoderne Struktur der Stadt zu charakterisieren“, in einem Rückgriff „auf das Bild eines Gitters oder Netzes[-], wobei allerdings nicht die Figur eines Spinnennetzes, sondern die eines Tornetzes oder auch die eines Fangzauns gemeint ist“ (Basten 2005, S. 57). Die unterschiedlichen Kompartimente folgen dabei keinem universellen Entwicklungsschema mehr, wie dies für die Moderne charakteristisch war, sondern werden zunehmend abhängig von individuellen Entwicklungen (vgl. z. B. Degen 2008), womit sie den Vorstellungen moderner Stadtplanung, „ein einheitliches Stadtbild zu gestalten“ (Löw 2010, S. 154; dazu auch Sieverts 1998 [1997]), in eklatantem Maße widerspricht.
Im Folgenden werden räumliche Entwicklungen charakterisiert, die die klassischen postmodernen Deutungen räumlicher Entwicklungen erweitern bzw. ergänzen: Stadtlandhybride, räumliche Pastiches und urbanizing former suburbs (URFSURBS).
2 Stadtlandhybride
In den Kultur- und Sozialwissenschaften wurden ‚Hybridität‘ und ‚Hybridisierung‘ im Kontext der zunehmenden Verbreitung postmoderner Perspektiven (siehe z. B. Vester 1993) zu einer Deutungskategorie insbesondere kultureller Entwicklungen. ‚Hybridisierung‘ wird dabei zu einer konzeptuellen „Metapher für kulturelle Vermischung“ (Hein 2006, S. 59; vgl. auch Ha 2005), wobei ‚Kultur‘ nicht – wie in essentialistischer Denktradition (einführend dazu Glasze und Thielmann 2006) – als Eigenschaft von ‚Völkern‘ verstanden wird. ‚Kultur‘ wird vielmehr als „work in progress“ (Ackermann 2004, S. 144) gedeutet, als ein zu keiner Zeit abgeschlossener Aushandlungsprozess zwischen Personen um gemeinsam geteilte Deutungs- und Bewertungsmuster. Dabei sind von dem Konzept der Hybridität keine exakten und klar abgegrenzten Definitionen zu erwarten (sonst entspränge es auch eher dem modernen Denken), es verspricht „keine derartige Perspektive von Tiefe oder Wahrheit“, die Hybridität ist „kein dritter Begriff, der die Spannung zwischen zwei Kulturen oder die beiden Szenen des Buches in einem dialektischen Spiel der ‚Erkenntnis‘ auflöst“ (Bhabha 2000 [engl. Original 1994], S. 168). Entsprechend ist Hybridität ein offenes und durchaus flexibles Konzept, das einer binären Abgrenzung des Einen von dem Anderen widerspricht (vgl. Ha 2005; Scherle 2016). Hybridität meint in sozialwissenschaftlicher Perspektive eine „Strategie der Vermischung und Aushandlung von Differenzen“ (Hein 2006, S. 55), wobei die Besonderheit dieser Vermischung – oder besser: Vernetzung – ist, dass es nicht zu einer Homogenisierung kommt, sondern Differenzen sichtbar bleiben (Schönwald 2017; Zapf 2002, S. 55–56).
Dieses Konzept der ‚Hybridisierungen‘ lässt sich auch für die Befassung mit räumlichen Differenzierungen nutzbar machen: Mit dem Begriff der ‚Stadtlandhybriden‘ (Kühne 2012b; weiterführend: Kühne 2016a; Kühne et al. 2017; Kühne und Schönwald 2015; Weber 2017) lässt sich die (zunehmende) Differenziertheit, Fragmentiertheit, und Komplexität von Stadt-Land(schafts)-Übergängen und Verschmelzungen beschreiben. Diese Differenzierung wird dabei (und damit unterscheidet sich der Begriff etwa von dem der ‚Zwischenstadt‘, siehe Sieverts 1998 [1997]; Vicenzotti 2017) sowohl
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in struktureller (z. B. in Bezug auf Bebauung, Infrastruktur),
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funktionaler (z. B. zentralörtlicher),
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lebensweltlicher (dem Bemühen, für sich persönlich, die Elemente des Lebens wie wohnen, arbeiten, sich versorgen, sich erholen etc. angesichts der ökonomischen, administrativen, familiären etc. Situation zu optimieren),
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emotionaler (etwa in Bezug auf eine ‚Verheimatung‘),
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ästhetischer (Räume nach den Deutungsmustern Schönheit/Hässlichkeit/Erhabenheit/Pittoreskheit/Kitsch zu deuten) und
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kognitiver (z. B. in Form von Raumbeschreibung) Hinsicht wirksam.
Entsprechend lassen sich soziale Stadtlandhybridisierungsprozesse nicht allein als ein Ausgreifen urbaner Lebensweisen in das Umland beschreiben (wie es im Kontext der Suburbanisierungsforschung häufig festgestellt wurde), vielmehr ergeben sich auch ‚rurale‘ Beeinflussungen (vormals) suburbaner Räume, wie Gailing (2015, S. 85) pointiert feststellt: „Suburbane Räume sollten auch als subrurale Räume beachtet werden“ (siehe auch: Sandul 2014). Auf diese Weise wandeln sich auch markant tradierte Vorstellungen von ,ländlichen Landschaften‘ gegenüber ‚Städten‘ und sie emergieren zu ,StadtLandschaften‘, die eher vermischen und verwischen. Prozesse der sozialen Stadtlandhybridisierung bedeuten auch – insbesondere im Kontext von Reurbanisierungsprozessen – die Verbreitung von Lebensstilen, die gemeinhin als ‚suburban‘ galten: häuslich, familien- und autozentriert in eher innerstädtischen Kontexten (Kropp 2015). Zugleich erfolgt eine ‚Festivalisierung‘, die ursprünglich städtischen kulturellen Kontexten zugeordnet wurde, in vormals ländlichen Räumen, in denen – bei ökonomischer Einbindung in die (städtische Industrie- und Dienstleistungsökonomie) – ‚Ländlichkeit‘ und ländliche Siedlungsgestaltung inszeniert und einem landschaftlich-emotionalen Deutungszugang unterworfen wird (Kühne 2005; Mölders et al. 2016).
Zusammenfassend bietet der Zugang zu räumlichen Phänomenen über ,Hybridität‘die Chance, den Fokus auf das ,Unreine‘, das ,Chaotische‘, auf ,Verknüpfungen‘ als heutige ,Normalität‘ zu lenken und komplexen sowie widerspruchsvollen Prozessen nachzugehen. Dabei bedeutet die Entstehung von Stadtlandhybriden keine Rückkehr zum Denken in (modernen) Dichotomien, wie Stadt und Landschaft, oder auch Gradienten, wie etwa einem Stadt-Land-Kontinuum, vielmehr entstehen ‚Raumpastiches‘ (Kühne 2006; Kühne und Jenal 2020a) mit Kompartimenten unterschiedlichen Hybriditätsgrades (Hofmeister und Kühne 2016; hierzu allgemein auch Weber und Kühne 2016).
3 Raumpastiches
Raumpastiches entstehen durch die Auflösung vormals klarer Funktionstrennungen und vordefinierter räumlicher Strukturen (wie von der modernen räumlichen Planung präferiert wurde) durch Funktionsdurchmischungen und raumstrukturelle Wandlungen, wie etwa Nutzungsaufgaben, Neunutzungen, Neustrukturierungen von Nutzungen, neue Verbindungen von Funktionen, symbolische Aufladungen und Inszenierungen etc. ‚Pastiche‘ bedeutet dabei „nicht einfach Entdifferenzierung, sondern setzt Differenzbildung voraus, um dann zu Hybridkreuzungen, Rekombinationen, Reintegrationen zu führen“ (Vester 1993, S. 29; mehr zum Begriff des Pastiches siehe z. B. Hoesterey 2001), wobei unter Differenz „nicht nur eine relative, das heißt auf ein Gemeinsames bezogene Verschiedenheit“ (Scherle 2016, S. 61) zu verstehen ist, sondern auch eine Verschiedenheit, „die durch kein einheitliches Fundament (mehr) zusammengehalten wird und die klassische Frage nach der Relation des Einen und des Vielen, des Allgemeinen und des Spezifischen aufbricht“ (Scherle 2016, S. 61). Raumpastiches sind konstitutiv mit dem Hybriden verbunden, denn sie entstehen aus Kompartimenten unterschiedlichen Grades an Hybridität, wobei diese Hybridität sehr verschieden gestaltet sein kann: eines unterschiedlichen Grades von Städtischem und Ländlichen (Stadtlandhybride), in Bezug auf unterschiedliche Gestaltungsformen (etwa dem Zitieren vergangener Baustile), dem Verschmelzen vormals getrennter Sphären des Lebens (etwa Freizeit und Arbeiten in Cafés), oder das Vermengen der vormals getrennt gedachten Sphären von Kultur und Natur (unter vielen: Hofmeister 2008; Kühne 2006, 2012b, 2017; Kühne und Koegst 2024; Kühne und Schönwald 2015; Schönwald 2017; Zierhofer 2003).
Als ein Beispiel für die fortschreitende Raumpastichebildung kann die Emergenz von ‚Edgeless Cities‘ (Lang 2003) verstanden werden. Stellte die Entstehung von ‚Edge Cities‘ (Garreau 1991) schon einen funktionalen und strukturellen Differenzierungsprozess dar, der sich in der Ballung von Dienstleistungsaktivitäten in verkehrsgünstiger Lage (etwa an bedeutenden Flughäfen oder Autobahnkreuzungen) äußerte, ist mit der Entwicklung von Edgeless Cities ein weiterer räumlicher Differenzierungsprozess verbunden: Sie entstehen in vielerlei Formen, Größen und Dichten, sie finden sich in entsprechend vielfältigen Anordnungen (Lang et al. 2013, S. 727). Sie lassen sich nicht klar abgrenzen, ihnen fehlt ein klares ‚Außen‘, wodurch sich auch ihr ‚Inneres‘ nur schwer definieren lässt, was zur Folge hat, dass ihnen nur in geringem Umfang eine eigene ‚Identität‘ zugeschrieben wird, weswegen „sie nicht als ein Ort wahrgenommen werden“ (Lang et al. 2013, S. 732). Gleichwohl können sie flächenhaft bis zu mehreren hundert Quadratkilometern ausgedehnt sein, wobei sie ihre Funktionen häufig entlang bedeutender Straßen ballen.
Die Pastichebildung vollzieht sich insbesondere in jenen Teilen der Welt, in denen der staatliche Einfluss auf die (insbesondere flächige) Raumstruktur gering ist (wie etwa in den Vereinigten Staaten und Polen), während sie bei einer stärkeren staatlichen Einflussnahme auf die Raumstruktur und Raumfunktion mittels räumlicher Planung (wie etwa in der Bundesrepublik und noch stärker in sozialistischen Staaten) weniger hervortritt (vgl. Gawroński 2015; Kühne 2012b, 2016b). Doch mit dem Abschied von einer klar auf Funktionstrennungen und auf einen (monovalenten) Zweck räumlicher Strukturen ausgerichteten modernistischen top down-orientierten Planung zugunsten eines iterativen und partizipativen Planungsprozesses (z. B. Langhagen-Rohrbach 2010; Radtke und Renn 2019) sowie der Auflösung moderner Raumstrukturen im Prozess der De-Industrialisierung und deren Neunutzung und Inszenierung (Dettmar 2003; Kamlage et al. 2020; Mlejnek et al. 2020; Schönwald 2015) vollzieht sich auch in der Bundesrepublik Deutschland ein verstärkter Prozess der Raumpastichebildung, wodurch neben den klassisch monovalent genutzten Flächen auch nonvalente (z. B. ungenutzte Brachen) und polyvalente Raumnutzungen entstehen (mit unterschiedlichen Nutzungen bzw. symbolischen Konnotationen und Inszenierungen; Kühne 2006).
Der Begriff ‚Raumpastiche‘ ist durch eine besondere Offenheit geprägt, da er unterschiedliche Intensitäten der Hybridbildung der Kompartimente des Pastiches umfasst. Insofern lassen sich auch die persistierenden Strukturen der Entwicklungen der ‚Gitternetz‘-Postmoderne integrieren, gleiches gilt für Kompartimente, die noch stark von einer modernistischen Logik der Eindeutigkeit geprägt sind, stellen sie doch letztlich – in dem Sinne eines hybriditätssensiblen Denkens – die Annäherung an einen Pol der Hybridität dar (Kühne 2012a). Trotz der begrifflichen Rahmung moderner Kompartimente in ‚Raumpastiche‘ bezieht sich das ‚Raumpastiche‘ konstitutiv auf jene emergenten Entwicklungen, die nicht durch Abgrenzung, vielmehr durch Verbindung und Gradualität, sprich Hybridität, gekennzeichnet sind, wie etwa die oben thematisierten Edgeless Cities, aber auch die im Folgenden zu behandelnden ‚urbanizing former suburbs‘ (URFSURBS; Kühne 2016a; Kühne et al. 2016, 2017; Kühne 2017; Kühne und Schönwald 2015; Roßmeier 2020b, 2020c; Weber und Kühne 2017). Räumliche Pastiches entziehen sich klassisch-landschaftlich-stereotypen Deutungsmustern und bringen somit die Herausforderung mit sich, neue landschaftliche Zugänge entwickeln zu müssen. Dass dies nicht unmöglich ist, zeigt die wachsende Wertschätzung altindustrieller Objekte in landschaftlicher Perspektive (Kühne 2007, 2018).
4 Urbanizing former suburbs (URFSURBS)
Mit dem Terminus der ‚urbanizing former suburbs‘ (URFSURBS) wird die Ausdehnung ‚urbaner‘ Haushalte und Lebensstile, häufig aber auch Funktionen (z. B. des Arbeitens in ‚gehobenen‘ Dienstleistungsberufen, Einrichtungen der hybriden Arbeit-Freizeitgestaltung) sowie Strukturen (z. B. in Form von bestimmten ‚innenstadttypischen Gebäuden‘, wie Büro(hoch)häuser oder Appartementhäuser) in innenstadtnahe suburbane Räume bezeichnet (vgl. Kühne 2016a; Kühne et al. 2016, 2017; Kühne 2017; Kühne und Schönwald 2015; Weber und Kühne 2017).
Die Entwicklung von URFSURBS basiert auf einem gewissen Attraktivitätsverlust suburbanen und autozentrierten Wohnens in geringer Dichte und größerer Entfernung zur Kernstadt, wie auch auf veränderter ökonomischer Wertschöpfung sowie differenzierungsbedingt veränderter gesellschaftlicher, postmoderner Wohnpräferenzen. Mit der Veränderung des Heiratsverhaltens, sinkenden Geburtenraten wie auch dem Attraktivitätsgewinn des Lebens jenseits der klassischen modernen Zweigenerationen-Familie (z. B. des Lebens als Single, Paar, oder Wohngemeinschaft und lediglich temporären Aufenthalte) steigt die Attraktivität von zentralen und ‚fußgänger~innenfreundlichen‘ Wohnlagen, die vielfältige, häufig temporär begrenzte Sozialkontakte begründen und eine Vielfalt an symbolisch aufgeladenen Konsum- und Selbstdarstellungsmöglichkeiten bieten. Entsprechend sinkt auch die Zahl der ‚klassischen‘ Suburbanisierer~innen-Haushalte, also Mittelschichtfamilien mit Kindern. Zudem mindert die Steigerung der Energiepreise die Attraktivität eines energieintensiven suburbanen Lebensstils (tägliches Pendeln zur Arbeit, Temperierung eines großflächigen und zumeist freistehenden Einfamilienhauses; vgl. auch Häußermann 2009). Zahlreiche Tätigkeiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft erfordern zwar keinen Bürostandort in zentraler Lage, jedoch sind Möglichkeiten, kurzfristig face-to-face-Kontakte herzustellen von großer Bedeutung, wodurch ein Wohnstandort, häufig kombiniert mit einem oder mehreren Arbeitsstandorten, in zentrumsnaher Lage an Attraktivität gewinnt (Frank 2018; Gallagher 2013; Hanlon 2008, 2010; Hesse 2008, 2010; Rérat 2019; zusammenfassend siehe Abb. 1). Darüber hinaus lässt sich die Attraktivität klassisch innerstädtischer Lebensweisen und Räume auch dem gesellschaftlichen Wandel hin zu postmodernen Werteprinzipien zurechnen. Während in der Postmoderne emotionale Zugänge und ästhetische Aspekte in den Vordergrund rücken wird zunehmend mit dem modernen Schema der funktional-kognitiven Interpretation gebrochen, welches eher mit dem suburbanen Leben und der städtischen Morphologie der getrennten Funktionen und Nutzungen in Einklang steht. Auch in Bezug auf die Einflüsse öffentlich-planerischer sowie privater Entwicklungsimpulse lässt sich in Europa wie in Nordamerika ein Trend hin zu ‚smart growth‘, also funktionsgemischter, dichter, und fußgänger~innen- bzw. ÖPNV-orientierter Siedlungsentwicklung beobachten, womit sich die jahrzehntelange Prämisse der Siedlungsranderweiterung zugunsten der Erzeugung hybrider ‚städtischer Dörfer‘ tendenziell umzukehren scheint. Dementsprechend erfolgt im Zuge der oftmals limitierten Wachstumsmöglichkeiten klassischer Kernstadtlagen bei gleichzeitig hoher Nachfrage nach innerstädtischen Wohn- und Dienstleistungsflächen eine Expansion (inner)städtischer Lebensweisen und Nutzungen in an die Kernstadt angrenzende ehemals suburbane Quartiere: Es entstehen URFSURBS. Dabei lassen sich unterschiedliche Intensitäten, eigens der Überformung physischer Räume, feststellen:
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Bestehende physische Strukturen werden bei gleichzeitiger Beibehaltung der bestehenden Nutzung (zumeist wohnen) erhalten, allerdings erfolgt eine Sanierung durch Personen mit einer höheren Ausstattung symbolischen Kapitals (wobei dies nicht zwingend mit einem Bevölkerungstausch verbunden sein muss, sondern auch durch eine bereits ansässige Bevölkerung mit steigender Ausstattung ‚symbolischen Kapitals‘ (Bourdieu 1989) angestoßen werden kann).
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Unter (weitgehender) Beibehaltung der physischen Strukturen wird ein Nutzungswandel vollzogen (ehemals leerstehende Ladengeschäfte werden zu Cafés, altindustrielle Gebäude zu Wohnungen u. ä.).
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Physische Strukturen werden revidiert, wobei die Art der Nutzung weitgehend erhalten bleibt (etwa bei dem Abbruch mehrerer Einfamilienhäuser und Errichtung eines Appartementhauses auf deren zusammengelegten Grundstücken).
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Sowohl physische Strukturen als auch Nutzungsarten werden verändert, was sich insbesondere bei der Errichtung von Wohn- und Gewerbegebäuden auf vormals industriell genutzten Flächen vollzieht.
Die Entstehung von URFSURBS ist ein räumliches Dokument sozialer wie räumlicher Mobilität. Gerade räumliche Mobilität hat eine zentrale Funktion für die aktuellen Prozesse differenzierter Siedlungsentwicklung: „Räumliche Mobilität führt unterschiedliche Menschen zusammen oder hält sie voneinander getrennt, bestimmt soziokulturelle Alltagspraktiken und ermöglicht oder verhindert sozialen Aufstieg sowie gesellschaftliche Anerkennung. Umgekehrt wirken sich soziale Mobilitätsprozesse der Verarmung oder Bereicherung sowie der milieuspezifischen Differenzierung von Wertorientierungen auf räumliche Mobilität aus“ (Breckner 2016, S. 112). Im Prozess der URFSURBanisierung kommt es schließlich zu einer Neuaushandlung von Distinktionen und Ein- bzw. Ausgrenzungen, die hohe Alltagsrelevanz besitzt und räumliche sowie soziale Mobilität im Gefüge der hybriden Kompartimente aktualisiert.
Entsprechende URFSURBanisierungsprozesse wurden bisher ausführlicher für Metropolen wie Los Angeles und San Diego in Südkalifornien untersucht (Kühne 2017; Kühne und Schönwald 2015; Kühne, Weber, Koegst 2020; Roßmeier 2020a; Roßmeier und Weber 2021), in letzter Zeit nun auch für das Umland der Kernstadt von Paris wie Levallois Perret und Pantin (Weber 2019; Weber und Kühne 2017), in bescheidenem Maße auch in der Hauptstadt Louisianas, Baton Rouge (Kühne und Jenal 2020b, 2021a, 2021b). (Zu ähnlichen Ergebnissen kommen für Baltimore und Chicago auch Charles 2013, 2018b, 2018a; Hanlon 2015; Hanlon und Airgood-Obrycki 2018). Die Verschiebung von Wohnpräferenzen, die in der Entwicklung von URFSURBS zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Ausdruck veränderter Landschaftsbezüge deuten: Das Leben mit einem raschen Zugang zu ländlich-anmutenden Räumen, denen hohe stereotype Landschaftsqualitäten zugeschrieben werden (siehe in diesem Zusammenhang auch Kühne und Spellerberg 2010; in diesem Handbuch: Weber et al. 2024), verliert etwa gegenüber vielfältigen Kulturangeboten oder lebens- und arbeitsweltlichen Kontakten an Bedeutung.
5 Fazit
Stadtlandhybride, Raumpastiches und URFSURBS bilden neue postmoderne Raumentwicklungen, jenseits der ‚Gitternetzpostmoderne‘. Der Begriff des Raumpastiches bezieht sich allgemein auf Räume, die durch Kompartimente unterschiedlichen Hybriditätsgrades gekennzeichnet sind, ohne die Spezifik der Hybridität anzugeben. Diese Spezifizierung erfolgt beispielhaft mit dem Begriff des Stadtlandhybriden. Hier bezeichnet Hybridität die unterschiedlichen Hybridisierungserscheinungen von Stadt und Land(schaft), damit verbunden auch von Natur und Kultur, eigens in besiedelten Räumen. Der Begriff des Raumpastiches bezieht sich konstitutiv auf emergente, hybride Raumstrukturen und -funktionen. Diese lassen sich mit dem Begriff des ‚Patchworks‘ oder des ‚Gitternetzes‘ nicht hinreichend beschreiben, da diese Begriffe sehr stark von distinkten Einheiten ausgehen, diese bilden jedoch – wie die Untersuchungen zu Edgeless Cities, aber auch der Differenziertheit der URFSURBS zeigen – zunehmend einen Spezialfall in der Bildung von Raumpastiches. Das Verständnis von Raumpastiches geht also über das des Patchworks, des Gitters bzw. des Netzes hinaus, schließlich fokussiert es zunehmend an Bedeutung gewinnende graduelle Übergänge jenseits von Abgrenzungen, ohne dass gleichzeitig Abgrenzungsprozesse irrelevant würden. Die große Dynamik stadtlandhybrider Entwicklungen in Raumpastiches wird durch die Emergenz von saumartig verinselten URFSURBS deutlich: Hier kulminiert gegenwärtig die Veränderbarkeit von räumlichen Strukturen einerseits. Andererseits wird aber daran auch die zeitliche Bedingtheit und Begrenztheit siedlungsräumlicher Prozesse deutlich, galt lange Zeit doch die immer weiter ausgreifende Suburbanisierung als nahezu ‚naturgesetzlicher‘ Siedlungstrend. Gegenwärtig zeichnet sich hingegen ein Trend der sozialen, funktionalen und strukturellen Überformung ehemals suburban geprägter Räume ab. Diese aktuellen Raumentwicklungen fordern einerseits traditionelle stereotype Landschaftsdeutungen und -bewertungen heraus, andererseits sind sie auch Ausdruck veränderter landschaftsbezogener Bedürfnisse.
Bislang wurden die hier dargestellten Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, ergänzend in Frankreich, untersucht. Analysen, inwiefern es sich dabei um ein globales Phänomen handelt, ob es in diesem Maßstab Differenzierungen gibt, aber auch wie im Detail unterschiedliche Planungstraditionen Einfluss auf ihre Entwicklung nehmen können, aber auch wie die Bewohner*innen solche Entwicklungen bewerten, stehen noch aus.
Weiterführende Literatur
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Weber und Kühne (2017): Vergleich der Entwicklung von URFSURBS in Südkalifornien und Frankreich.
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Kühne, O., Weber, F., Rossmeiera, A. (2024). Postmoderne Zugriffe und Differenzierungen von Stadt und Land(schaft): Stadtlandhybride, räumliche Pastiches und URFSURBS. In: Kühne, O., Weber, F., Berr, K., Jenal, C. (eds) Handbuch Landschaft. RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42136-6_84
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