Existenzielle Psychotherapie: Was ist das? - Gedankenwelt
 

Existenzielle Psychotherapie: Was ist das?

Wir sprechen heute über einen therapeutischen Ansatz, der sich auf die philosophische Strömung des Existenzialismus stützt und bei dem die Reflexion über Themen wie Tod, Verantwortung und Lebenssinn zum Handeln antreibt.
Existenzielle Psychotherapie: Was ist das?
Sharon Laura Capeluto

Geschrieben und geprüft von der Psychologin Sharon Laura Capeluto.

Letzte Aktualisierung: 16. Mai 2024

Die existenzielle Psychotherapie ist eine therapeutische Herangehensweise, die sich auf die grundlegenden Fragen und Herausforderungen konzentriert, mit wir im Laufe des Lebens konfrontiert werden. Im Mittelpunkt stehen Themen wie Freiheit, Verantwortung, Sinnfindung, Tod und Isolation. Im Gegensatz zu anderen Therapieformen, die sich oft auf spezifische Symptome oder Verhaltensweisen konzentrieren, betrachtet die existenzielle Psychotherapie das gesamte Wesen des Menschen und seine Beziehung zur Welt.

Wir laden dich ein, mehr über diese Therapieform zu erfahren.

Die existenzielle Psychotherapie

Der Ansatz der existenziellen Psychotherapie basiert auf der Idee, dass das Streben nach Sinn und Bedeutung im Leben universell ist und viele psychische Probleme aus einem Mangel an Sinnhaftigkeit oder einem Gefühl der Entfremdung resultieren. In dieser Therapie werden wir ermutigt, unsere Lebenswerte, Überzeugungen und existenziellen Ängste zu erkunden, um ein tieferes Selbstverständnis zu entwickeln und einen authentischen Lebensweg zu finden.

Die existenzielle Psychotherapie ist eine faszinierende Methode, die das subjektive Erleben mithilfe der Phänomenologie erforscht und dabei auf die grundlegenden philosophischen Konzepte des Existenzialismus zurückgreift, um uns den tiefgreifenden Herausforderungen und Ängsten zu stellen, die im Leben auftreten können.

Als Teil der humanistischen Psychologietradition betont die existenzielle Psychotherapie die individuelle Erfahrung und Selbstverwirklichung. Ihre Methodik ist flexibel und passt sich den einzigartigen Bedürfnissen jeder Person an. Durch tiefgreifende Dialoge, die Erforschung des gegenwärtigen Moments und die Reflexion über persönliche Entscheidungen werden bedeutungsvolle Einblicke gewonnen, die helfen, das Leben authentisch und erfüllt zu gestalten.

“Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.”

Jean Paul Sartre

Der Existenzialismus als Grundlage

Der Existenzialismus als philosophische Strömung betont die individuelle Freiheit, Verantwortung und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger, Søren Kierkegaard und Simone de Beauvoir gehören zu den bedeutendsten Denkern, die diese Ideen prägten.

Ihr philosophisches Erbe reicht weit über den akademischen Bereich hinaus und bildet eine solide Grundlage für die Psychotherapie. Persönlichkeiten wie Irvin D. Yalom, Viktor Frankl und Rollo May haben diese Ideen in den praktischen Bereich der Psychotherapie aufgenommen und gezeigt, wie sie im klinischen Kontext angewendet werden können.

Yalom identifiziert vier existenzielle Sorgen, die Ängste und innere Konflikte hervorrufen: Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, konzentrierte sich auf die Suche nach dem Sinn als eine wesentliche Triebfeder. In seinen Werken beschreibt er seine Erfahrungen als Gefangener in den Konzentrationslagern der Nazis und betont die Bedeutung, auch in schwierigen Zeiten einen Sinn zu finden.

Rollo May spielte eine wichtige Rolle bei der Einführung und Entwicklung dieser Psychotherapie in den Vereinigten Staaten. Er betonte unsere Dualität als Individuen, indem er darauf hinwies, dass wir sowohl “Objekte” sind, die von äußeren Faktoren beeinflusst werden, als auch “Subjekte”, die aktiv handeln und Entscheidungen treffen können, die die Realität beeinflussen.

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), die zur dritten Welle gehört, hat Ähnlichkeiten mit dem Existenzialismus, da sie dem Einzelnen vorschlägt, sich zu seinen persönlichen Werten zu bekennen und so einen Sinn im Dasein zu finden.

Die existenzielle Psychotherapie und ihre Phasen

Bei diesem Ansatz beginnt die erste Phase damit, ein Vertrauensverhältnis zwischen der zu behandelnden Person und dem Therapeuten aufzubauen. Dieses Bündnis ist entscheidend für die Effektivität des Prozesses. Während dieser Phase werden die Gründe für deine Beratung erkundet und die Ziele sowie Erwartungen festgelegt. Es gibt keine festgelegte Anzahl von Sitzungen, aber normalerweise umfasst diese Phase mindestens die ersten vier Treffen.

In der zweiten Phase findet eine tiefere Analyse der Sorgen, Werte, Verhaltens- und Denkmuster statt. Gleichzeitig werden verbesserungsfähige emotionale Ressourcen und Bereiche identifiziert, immer mit dem Ziel, das Wohlbefinden der zu behandelnden Person zu fördern. Die Dauer dieser Phase variiert je nach Komplexität der zu behandelnden Themen, der Bereitschaft, daran zu arbeiten, und der Wirksamkeit der therapeutischen Interventionen.

Die letzte Phase markiert einen Übergang zur Autonomie, bedeutet aber nicht, dass die Klientin oder der Klient von zukünftigen Herausforderungen befreit ist. Dieser Abschnitt ist erreicht, wenn die festgelegten Ziele erreicht wurden und die behandelte Person über ausreichende emotionale Ressourcen verfügt, um den Herausforderungen des Lebens eigenständig zu begegnen.

Wann ist die existenzielle Psychotherapie sinnvoll?

Diese Therapieform kann in verschiedensten Lebensphasen äußerst wirksam sein. Im Folgenden skizzieren wir verschiedene Situationen, in denen du am meisten davon profitieren kannst:

1. Du wirst von Fragen nach dem Sinn deines Lebens geplagt

Du befindest dich in einem Meer unbeantworteter Fragen? Du suchst nach dem Sinn deines Lebens und findest keine Antworten? In dieser Situation kann dir die existenzielle Psychotherapie helfen, Innenschau zu halten und dich selbst und deine Lebensaufgabe zu erforschen.

2. Du befindest dich in einer Phase bedeutender Veränderungen

Wenn du dich in einer Zeit bedeutender Veränderungen befindest und das Gefühl hast, den Boden unter den Füßen zu verlieren, kann dir die existenzielle Pscyhotherapie helfen, den richtigen Weg zu finden.

Vielleicht erwägst du eine berufliche Veränderung, einen Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land oder stehst vor Veränderungen in deinen Beziehungen. Du siehst vor dir vielleicht eine aufregende Zukunft voller Möglichkeiten, fühlst dich jedoch in dieser Situation trotzdem überwältigt und unsicher.

3. Du fühlst dich unzufrieden oder entfremdet vom Leben

Die existenzielle Therapie kann bei Depressionen wirksam sein. Sie zielt darauf ab, nicht nur die Symptome zu lindern, sondern auch ein Gefühl der Lebensfreude und Vitalität wiederherzustellen und eine Verbindung zum Leben zu finden, indem sie sich auf das Hier und Jetzt konzentriert. Ihr Ziel ist es, die Art und Weise zu verändern, wie du die Welt wahrnimmst und mit ihr interagierst.

4. Du möchtest über existenzielle Themen wie Freiheit oder Tod nachdenken

Wenn du dazu neigst, die Nuancen des Daseins zu hinterfragen und auf einer tieferen Ebene zu erforschen, dann ist dieser psychotherapeutische Ansatz genau das Richtige für dich.

Im Großen und Ganzen beziehen sich diese Fragen auf die Endlichkeit des Lebens, die Fähigkeit zu wählen und die damit verbundene Verantwortung sowie das Verständnis von Liebe in all ihren Formen. Diese Aspekte werden im Kontext des Existenzialismus erforscht.

5. Du durchläufst eine Identitätskrise

Während einer Identitätskrise befinden sich Menschen in einer tiefen Reflexion, die dazu führt, dass sie Werte, Überzeugungen, Ziele und Rollen im Leben infrage stellen. Kommt dir das bekannt vor?

Oft entstehen solche Krisen in Zeiten des Übergangs oder der Auseinandersetzung mit neuen Dimensionen der eigenen Identität. Ein klares Beispiel dafür ist die Adoleszenz, eine Zeit, in der sich die Individualität herausbildet und wir versuchen, unsere Identität und unseren Platz in der Welt zu verstehen. Eine ähnliche Situation tritt oft beim Eintritt in den Ruhestand auf.

Wann ist die existenzielle Psychotherapie nicht geeignet?

Ohne ihre Bedeutung zu mindern, ist die existenzielle Psychotherapie in einigen Situationen möglicherweise nicht die erste Wahl. Wie bei jedem Ansatz hat sie ihre Grenzen und kann je nach Person und Umständen mehr oder weniger geeignet sein.

Wenn du beispielsweise nach praktischen und strategischen Lösungen mit schnelleren Ergebnissen suchst, sind möglicherweise problemorientierte Ansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie eher geeignet. Das Gleiche gilt für diejenigen, die eine eher direkte Ausrichtung mit konkreten Aufgaben und Anweisungen bevorzugen.

Auch wenn eine sehr spezifische Behandlung für bestimmte Störungen wie Zwangsstörungen oder soziale Ängste erforderlich ist, ist es am besten, Therapien in Betracht zu ziehen, die speziell für diese Probleme entwickelt wurden. Wenn sich eine Person nicht wohlfühlt oder nicht mit den existenzphilosophischen Grundsätzen zurechtkommt, kann es sinnvoller sein, andere therapeutische Ansätze zu erwägen, die besser mit ihren Überzeugungen übereinstimmen.

Es ist anzumerken, dass die existenzielle Therapie nicht darauf abzielt, Menschen in vordefinierte diagnostische Kategorien einzusortieren.

Ein intimer Dialog zwischen dem Individuum und seiner eigenen Existenz

Die existenzielle Psychotherapie zeichnet sich als therapeutischer Ansatz aus, der versucht, menschliche Herausforderungen durch eine philosophische Linse zu verstehen und zu behandeln.

Anstatt an der Oberfläche der Symptome zu bleiben, zielt diese Methode darauf ab, die tieferen Wurzeln durch existenzielle Fragen über unsere Natur und unseren Zweck zu verstehen. Möchtest du es ausprobieren?


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